Helden des Olymp, Band 3: Das Zeichen der Athene (German Edition)
überrascht, als sie auf ihn zustürzte und ihn umarmte, allerdings nicht annähernd so überrascht wie der andere Typ, Amos. Der machte einen solchen Satz nach hinten, dass er sich in seinem Trenchcoat verhedderte.
Er hatte seine Brille abgenommen und ich musste Sadie Recht geben. Er sah irgendwie vertraut aus – wie eine sehr weit zurückliegende Erinnerung.
»Ich – ich muss los«, murmelte er. Er rückte seinen Hut zurecht und lief schwerfällig die Straße hinunter.
Dad beobachtete, wie er davonging, und legte schützend einen Arm um Sadie. Die andere Hand steckte er in die Arbeitstasche, die über seiner Schulter hing. Als Amos schließlich um die Ecke verschwand, entspannte sich Dad. Er nahm die Hand aus der Tasche und lächelte Sadie an. »Hallo, Süße.«
Sadie machte sich los und verschränkte die Arme. »Ach, jetzt bin ich die Süße, oder wie? Du kommst zu spät. Der Besuchstag ist fast vorbei! Und was sollte das hier? Wer ist Amos und was ist Per Anch?«
Dad erstarrte. Er warf mir einen Blick zu und schien zu überlegen, wie viel wir wohl mitgehört hatten.
»Ist nicht wichtig«, sagte er und versuchte, fröhlich zu klingen. »Ich habe einen tollen Abend geplant. Wer hat Lust auf eine Privatführung im British Museum?«
Sadie ließ sich zwischen Dad und mich auf die Rückbank des Taxis fallen.
»Ich glaub es nicht«, maulte sie. »Da haben wir mal einen gemeinsamen Abend und du hast bloß wieder deine Arbeit im Kopf.«
Dad gab sich Mühe zu lächeln. »Süße, das wird lustig. Der Leiter der Ägyptischen Sammlung hat uns persönlich eingeladen –«
»Ach, wer hätte das gedacht.« Sadie blies eine rot gefärbte Haarsträhne aus ihrem Gesicht. »Heiligabend, und wir schauen uns irgendwelche schimmligen alten Überbleibsel aus Ägypten an. Denkst du jemals an was anderes?«
Dad war nicht sauer. Er ist nie sauer auf Sadie. Er starrte einfach aus dem Fenster in den dunkler werdenden Himmel und den Regen.
»Ja«, erwiderte er ruhig. »Manchmal schon.«
Ich wusste, dass Dad immer an Mom dachte, wenn er so still wurde und ins Nichts starrte. Die letzten paar Monate war das oft der Fall gewesen. Wenn ich in unser Hotelzimmer kam, saß er mit seinem Handy da, von dessen Bildschirm ihm Mom entgegenlächelte – ihr Haar war unter ein Kopftuch geschoben, ihre Augen wirkten vor dem Wüstenhintergrund verblüffend blau.
Oder wir waren an irgendeiner Ausgrabungsstätte. Dad starrte auf den Horizont und ich wusste, dass er sich daran erinnerte, wie er sie kennengelernt hatte – zwei junge Wissenschaftler im Tal der Könige, auf der Suche nach einer vergessenen Grabkammer. Dad war Ägyptologe, Mom war Anthropologin und erforschte richtig alte DNS. Die Geschichte hatte er mir tausendmal erzählt.
Unser Taxi schlängelte sich am Ufer der Themse entlang. Kurz hinter der Waterloo Bridge wurde Dad nervös.
»Entschuldigen Sie«, sagte er, als wir am Victoria Embankment entlangfuhren. »Halten Sie hier einen Augenblick an.«
Der Fahrer hielt am Straßenrand.
»Was ist denn, Dad?«, fragte ich.
Er kletterte aus dem Taxi, als hätte er mich nicht gehört. Als Sadie und ich ebenfalls ausstiegen und uns neben ihn stellten, starrte er an Cleopatra’s Needle hoch.
Falls ihr sie noch nie gesehen habt, die sogenannte Nadel ist ein Obelisk, keine Nadel, und sie hat überhaupt nichts mit Kleopatra zu tun. Als die Briten sie nach London brachten, fanden sie den Namen vermutlich einfach gut. Sie ist ungefähr zwanzig Meter hoch, was im Alten Ägypten vielleicht eindrucksvoll war, an der Themse zwischen all den hohen Gebäuden allerdings eher mickrig und kläglich aussieht. Man kann daran vorbeifahren und merkt überhaupt nicht, dass dort etwas steht, das tausend Jahre älter ist als die Stadt London.
»Gott.« Sadie drehte frustriert eine Runde um die Säule. »Müssen wir an jedem Denkmal stehen bleiben?«
Dad starrte zur Spitze des Obelisken. »Ich musste mir die Nadel noch einmal ansehen«, murmelte er. »Hier ist es passiert …«
Vom Fluss her blies ein eisiger Wind. Ich wollte zurück ins Taxi, aber allmählich machte ich mir echt Sorgen. So abwesend hatte ich ihn noch nie erlebt.
»Was hast du, Dad?«, fragte ich. »Was ist hier passiert?«
»Hier habe ich sie zum letzten Mal gesehen.«
Sadie blieb stehen. Unsicher warf sie mir einen mürrischen Blick zu, dann sah sie wieder zu Dad. »Moment mal. Du redest von Mom?«
Dad strich Sadie das Haar hinters Ohr und sie war so überrascht, dass sie
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