Heldenplatz (German Edition)
gehalten
es war ihm immer gleichgültig was sie gedacht hat
sie hat sich ja nie durchgesetzt
Oxford ist mir ein Alptraum
aber Wien ist mir jeden Tag
der viel größere Alptraum
ich kann hier nicht mehr existieren
ich wache auf und habe es mit der Angst zu tun
die Zustände sind ja wirklich heute so
wie sie achtunddreißig gewesen sind
es gibt jetzt mehr Nazis in Wien
als achtunddreißig
du wirst sehen
alles wird schlimm enden
dazu braucht es ja nicht einmal
einen geschärften Verstand
jetzt kommen sie wieder
aus allen Löchern heraus
die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind
du brauchst dich ja nur mit irgend einem unterhalten
schon nach kurzer Zeit stellt sich heraus
es ist ein Nazi
gleich ob du zum Bäcker gehst
oder in die Putzerei in die Apotheke
oder auf den Markt
in der Nationalbibliothek glaube ich
ich bin unter lauter Nazis
sie warten alle nur auf das Signal
um ganz offen gegen uns vorgehen zu können
sie ruft
Laß dir nur Zeit Onkel Robert
wir warten hier
zu Olga
In Österreich mußt du entweder katholisch
oder nationalsozialistisch sein
alles andere wird nicht geduldet
alles andere wird vernichtet
und zwar hundertprozentig katholisch
und hundertprozentig nationalsozialistisch
OLGA
Die Mutter wird es nicht lang in Neuhaus aushalten
ANNA
Am Samstag ist ja in der Josefstadt Minna von Barnhelm
da geht sie sicher
in Neuhaus kann sie die Zittel herumkommandieren
OLGA
Und die Herta
nimmt sie die auch mit
ANNA
Auf die Herta kommt es schon nicht mehr an
die soll sie ruhig behalten
die Zittel kann ja die groben Arbeiten
nicht mehr machen
die Zittel ist ja jetzt schon die Hausdame
und nur in zweiter Linie Wirtschafterin
Der Vater hat sich ja in den letzten Jahren
mehr mit der Zittel unterhalten
als mit der Mutter
ohne die Zittel wäre nichts mehr gegangen
OLGA
Lebt ihre Mutter noch
ANNA
Die ist zweiundneunzig
in einem Altersheim in Kritzendorf
der Vater hat das bezahlt
das geht jetzt nicht mehr
OLGA
Die Mutter hat ja nicht nur die Pension
ANNA
Sie hat ja noch immer
die Essigfabrik
und die Fezfabrik
wenn sie sich auch darum nicht mehr kümmert
sie verdient damit Unsummen
selbst der Vater hat die Fabriken
nicht umbringen können
ruft dem Onkel zu
Wir warten hier Onkel Robert
wir haben Zeit
Die Zittel hat gekocht
zu Olga
In Oxford hat er sein Buch fertigschreiben wollen
wahrscheinlich ist das Ganze jetzt kaputt
Das Klavier vorausgeschickt
so ein Unsinn
solang ich in der Nationalbibliothek arbeiten kann
ist ja alles in Ordnung
mir ist das schon oft unerträglich
du kannst dir ja nicht vorstellen
wie blödsinnig diese Leute sind
Der Direktor ist ein unerträglicher Mensch
zu Mittag setzt er sich genau an den Tisch
mir gegenüber
ein Salzburger oder Tiroler
jedesmal verdirbt er mir schon wenn er auftaucht
den Appetit
mein Gott diese Leute
aber bei uns wird ja auch alles nur parteipolitisch besetzt
die Leute können gar nicht beschränkt genug sein
um auf die höchsten Posten zu kommen
überall sitzen diese Idioten
das ist es ja auch das den Vater immer
wahnsinnig gemacht hat
die Universität ist ja auch voller Idioten
darunter hat er die zwanzig Jahre gelitten
steiermärkische Trottel salzburgische Idioten
als Kollegen
das geistige Leben in dieser Stadt
ist ja schon beinahe erstickt in der Niederträchtigkeit
und in der Stumpfsinnigkeit seiner Postenschacherer
Von meinen Kollegen sind ja neunzig Prozent Nazis
hat der Vater gesagt
entweder sie vertreten den katholischen
oder den nationalsozialistischen Stumpfsinn
gemein und niederträchtig sind sie alle
die Stadt Wien ist eine einzige stumpfsinnige Niederträchtigkeit
Es ist ihm ja gar kein Gespräch mehr möglich gewesen
am Ende hat er nurmehr noch den Onkel Robert gehabt
OLGA
Du müßtest ja nicht
in die Nationalbibliothek gehen
ANNA
Was denn sonst
ohne die Nationalbibliothek hielte ich es
ja überhaupt nicht aus
ich wüßte mit meinem Leben nichts anzufangen
du glaubst doch nicht
daß ich untätig zuhause sitzen könnte
das hab ich nie zustande gebracht
Warten darauf was die Fabriken abwerfen wie die Mutter
davor hat es mich immer gegraust
Die Mutter hätte sich auch geistig beschäftigen sollen
dann wär es mit ihr nicht soweit gekommen
Die Josefstadtgeherei ist ja nur eine Marotte
in die Krankheit geflüchtet
Ich gehe in Minna von Barnhelm
das ist ja keine Geistesbeschäftigung
diesen Leuten regelt
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