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Heldenplatz (German Edition)

Heldenplatz (German Edition)

Titel: Heldenplatz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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konnten es nicht ertragen
    daß er ihnen allen mehr oder weniger vorgesetzt worden war
    Wenn ich nur in London leben könnte
    hat er immer gesagt
    Oxford ist ja nicht London
    Aber von was lebe ich in London
    doch nicht von der Essigfabrik meiner Frau
    Ehrlich gesagt ich bin wegen der Musik  
    nach Wien zurückgegangen
    wahrscheinlich nur wegen der Musik
    aber wenn ich ehrlich bin
    hat mir nach meiner Rückkehr kein Konzert mehr gefallen
    Walter Klemperer Kleiber Barbirolli mein Gott
    die sind ja alle tot
    Ich bin immer enttäuscht nachhause gekommen
    aber ich gehe doch immer wieder in den Musikverein
    solang ich noch kriechen kann
    Ich weiß auch noch wie euer Vater einmal gesagt hat
    Ich gehe auf die Mariahilferstraße
    und suche die Mariahilferstraße
    und ich bin auf der Mariahilferstraße
    und finde sie nicht
    einen unglücklichen Menschen studieren
    das war an eurem Vater wie an keinem zweiten möglich
    schaut zum Parlament hinüber
    Das ganze Unglück ist ja kein überraschendes
    Er wollte die Musik
    er wollte die Kindheit
    wiederhaben
    Aber die Wiener waren nicht mehr so
    wie er sie in Erinnerung gehabt hat
    die Österreicher waren nicht mehr so
    nichts war mehr so
    Aber die Erinnerung täuscht immer
    die Erinnerung ist immer ein total falsches Bild
    Auf den Lehrstuhl in Wien pfeifen
    das kann ich nicht hat er gesagt
    damit hat er nicht gerechnet
    daß die Österreicher nach dem Krieg
    viel gehässiger und noch viel judenfeindlicher gewesen sind
    als vor dem Krieg
    damit hat niemand gerechnet
    Er ist wie er selber so oft gesagt hat
    in die Wiener Falle gegangen
    Er hat nicht mehr gewußt
    daß in Wien und überhaupt in Österreich
    die Verlogenheit zuhause ist
    OLGA  
    Onkel Robert du übertreibst
    PROFESSOR ROBERT  
    Das sagst du die jeden Tag selbst erleben muß
    wie die Wiener wirklich sind
    das sagst du die erst vor vierzehn Tagen bespuckt worden ist
    weil sie Jüdin ist
    ANNA  
    Das war sicher irrtümlich
    PROFESSOR ROBERT  
    Irrtümlich irrtümlich glaubt ihr
    das war nicht irrtümlich
    natürlich wenn man es nicht erlebt hat
    aber wenn man es tatsächlich erlebt hat
    OLGA  
    Nicht richtig bespuckt
    PROFESSOR ROBERT  
    Aber du hast mir doch selbst erzählt
    daß du in der Schottengasse bespuckt worden bist
    jetzt sagst du irrtümlich
    was für ein Irrtum soll denn das gewesen sein
    bespuckt man denn einen Menschen auf der Straße
    wenn man ihn nicht einmal kennt
    nur wenn man sieht er ist ein Jude
    Wie spät ist es denn jetzt
    ANNA  
    Halb zwei
    PROFESSOR ROBERT  
    Die Wiener und die Österreicher
    sind ja viel schlimmer
    als es sich euer Vater hat vorstellen können
    hört doch was die Leute reden
    schaut sie euch an
    sie begegnen einem doch nur
    mit Haß und Verachtung
    gleich ob auf der Straße oder im Lokal
    gerade ein Jude kann nicht immer zuhause
    in seinen vier Wänden sitzen
    auch ein Jude muß hinaus auf die Straße
    und wird er als Jude entdeckt
    strafen ihn Haß und Verachtung
    in Österreich Jude zu sein bedeutet immer
    zum Tode verurteilt zu sein
    die Leute mögen schreiben und reden was sie wollen
    der Judenhaß ist die reinste die absolut unverfälschte Natur
    des Österreichers
    Vor achtunddreißig hatten sich die Wiener
    an die Juden gewöhnt gehabt
    aber jetzt nach dem Krieg gewöhnen sie sich nicht mehr an die Juden
    sie werden sich niemehr an die Juden gewöhnen
    Ich selbst wußte ja auch
    daß ich indem ich nach Wien gegangen bin in die Hölle gegangen bin
    Wenn ich die Kraft hätte
    über diesen Zustand der heute hier in dieser Stadt herrscht
    ein Buch zu schreiben
    aber diese Kraft habe ich nicht mehr
    Der Kopf wäre dazu durchaus imstande
    aber nicht der Körper
    der Körper läßt mich im Stich das seht ihr ja
    ANNA  
    Die Zittel hat uns sicher
    eine heiße Suppe gemacht
    PROFESSOR ROBERT  
    Was die Schriftsteller schreiben
    ist ja nichts gegen die Wirklichkeit
    jaja sie schreiben ja daß alles fürchterlich ist
    daß alles verdorben und verkommen ist
    daß alles katastrophal ist
    und daß alles ausweglos ist
    aber alles das sie schreiben
    ist nichts gegen die Wirklichkeit
    die Wirklichkeit ist so schlimm
    daß sie nicht beschrieben werden kann
    noch kein Schriftsteller hat die Wirklichkeit so beschrieben
    wie sie wirklich ist
    das ist das Fürchterliche
    sie gehen ein paar Schritte und bleiben wieder stehen
    Am liebsten würden sie
    wenn sie ehrlich sind
    uns auch heute genauso wie vor fünfzig Jahren
    vergasen
    das steckt in den Leuten
    ich täusche mich nicht
    wenn

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