Heldenplatz (German Edition)
beobachte alles
sozusagen aus dem Tod heraus verstehen Sie
HERR LANDAUER
Sie gehen aber doch immer wieder in den Musikverein
PROFESSOR ROBERT
Gewohnheitsmäßig
es fällt mir sonst nichts mehr ein
Ich lese und ich gehe in Neuhaus ein paar Schritte
ich bin ja kein Naturliebhaber ich hasse die Natur ja
das ist die Wahrheit
mir gibt die Natur nichts
und ich fahre ein- oder zweimal in der Woche in die Stadt herein
und gehe in den Musikverein
meine musikalischen Ansprüche sind aber nicht mehr sehr groß
ich warte nurmehr noch darauf endgültig und ganz tot zu sein
ich habe nicht den Kopf zum Selbstmord
ANNA zu ihm
Die Mutter will mit dir über die Zittel sprechen
PROFESSOR ROBERT
Über die Zittel
was will sie über die Zittel mit mir sprechen
ANNA
Die Altersheimkosten für die Mutter der Zittel
hat der Vater gezahlt
PROFESSOR ROBERT
Ja und
ANNA
Ob du das übernimmst will sie wissen
PROFESSOR ROBERT
Die Frau Zittel ist ja nicht meine Haushälterin
oder Wirtschafterin oder wie immer
sie geht zu eurer Mutter nach Neuhaus dort bleibt sie wahrscheinlich
das ist nicht meine Angelegenheit
ich habe ja die Kronberger
die Kronberger und ich
wir sind in Neuhaus
schon jahrzehntelang eingespielt
Deine Mutter erstickt ja förmlich in Geld
das soll sie bezahlen
zu allen
Meine Schwägerin ist schließlich immer die Kapitalistin in der Familie gewesen
Und außerdem was ist das für ein Thema hier
Herr Landauer was sagen Sie werden die Roten die nächste Wahl gewinnen
die haben doch keinen Charakter
und die Schwarzen sind lauter Dummköpfe
und die Schweinigelei ist in allen Parteien die Triebkraft
Wenn Sie heute in Österreich einen Politiker wählen
wählen Sie doch nur ein korruptes Schwein
so ist es doch
FRAU ZITTEL kommt mit einem Stoß Teller herein und verteilt sie auf dem Tisch
PROFESSOR ROBERT
Meine Schwägerin müßte ja längst da sein
sie ist ja noch bevor ich ins Taxi gestiegen bin
mit Lukas weggefahren
Diese Niederreiter bringt alles durcheinander
Was ist denn das eigentlich für eine Person Frau Zittel
ANNA
Das war doch eine Geschmacklosigkeit
daß die auf dem Begräbnis erschienen ist
PROFESSOR ROBERT
Eine an und für sich gut aussehende Person
zu Anna
hat sie der Josef gekannt
ANNA
Zweimal hat er sie mitgebracht
der Vater war nicht begeistert
PROFESSOR ROBERT
Lukas war immer auf Schauspielerinnen spezialisiert
ANNA
Auf die zweit- und drittklassigen
PROFESSOR ROBERT
Das ist ganz unmöglich
zuerst diese Person nachhause zu bringen
und dann die Mutter
ANNA
Eine Zumutung
PROFESSOR ROBERT
Aber natürlich warten wir Frau Zittel
HERTA ist eingetreten und an der Tür stehengeblieben
PROFESSOR ROBERT
Zwei Jahre dann geht sie ihm auf die Nerven
es ist immer das gleiche
Was als große Liebe anfängt
ist schon ein paar Wochen später lästig
im Grunde ist das ganz normal
Manchmal denke ich Lukas wird nie eine Frau finden
In seinem Alter kann das gar nicht mehr glücken
da ist alles in einem Menschen schon zu wählerisch
jeder Blick durchschneidet alles
da kommt nichts mehr heraus außer Langeweile und Überdruß
FRAU ZITTEL
Der Herr Professor hat sich vorige Woche
einen Tag vor dem Unglück
noch Schuhe anmessen lassen beim Scheer
das wollte ich noch sagen
sie teilt Servietten aus
ANNA
Lukas hat ja dieselbe Schuhgröße
PROFESSOR ROBERT
Josef war der klassische Schuhfetischist
ich habe drei Paar verbraucht in zwanzig Jahren
er hat über hundert Paar Schuhe gehabt
in Wien allein an die sechzig Paar
in Neuhaus stehen überall Schuhe von ihm herum
auch in Salmannsdorf
FRAU ZITTEL
Die Post hab ich in den kleinen weißen Sack gesteckt
ANNA
Ich hab überhaupt niemandem geschrieben
daß der Vater tot ist
die glauben alle er ist schon in Oxford
FRAU ZITTEL flüstert Herta etwas ins Ohr, beide gehen hinaus
PROFESSOR LIEBIG
Auf mich haben Friedhöfe immer eine deprimierende Wirkung
Meine Frau lebt geradezu auf auf dem Friedhof
FRAU LIEBIG
Ich bin immer auf die Friedhöfe gegangen
schon mit meiner Großmutter
PROFESSOR LIEBIG
Auf den Friedhöfen kann man am besten
die verschiedenen Familiengeschichten studieren
gewisser Familien
PROFESSOR ROBERT
Friedhofbesuche sind die nützlichsten
sie dienen wie nichts der Belehrung
und der Beruhigung
nirgendwo sonst kann sich ein heute doch überall gestörter Kopf
konzentrieren
Von meiner Schwägerin bin
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