Heldenplatz (German Edition)
sie könnten
würden sie uns auch heute ohne Umstände
umbringen
Mein Bruder ist ja auch vor diesen Fürchterlichen
in Kleist Goethe Kafka hineingeflüchtet
aber man kann nicht das ganze Leben
nur in die Dichtung und in die Musik hineinflüchten
an einem bestimmten Punkt geht das nicht mehr
dann bleibt unter Umständen nurmehr noch der Selbstmord
Wahrscheinlich ist es nur die Frage
des günstigsten Augenblicks
die Frage des günstigsten Augenblicks ist es
zu Olga direkt
Du hast nie eine Beziehung zur Musik gehabt
das ist ganz merkwürdig
Die Anna ja du nicht
dein Vater konnte das nicht verstehen
vielleicht liegt es daran
daß du in der Schweiz geboren bist
schaut in Richtung Burgtheater
Wenn die Leute auf dem Burgtheater auftreten
bilden sie sich ein
sie sind etwas
Die Niederreiter kommt doch nicht jetzt
zum Mittagessen
Schauspieler und Schauspielerinnen am Tisch
das war nie meine Sache
Meine Sekretärin wollte ja auch Schauspielerin werden
daraus wurde nichts
zu einer guten Schreibkraft gehört auch Talent
Noch sind die Österreicher ein musikalisches Volk
aber eines Tages
werden sie auch kein musikalisches Volk mehr sein
Sie gehen weiter
Dritte Szene
Ausgeräumtes Speisezimmer
Nur ein langer Tisch und sieben verschiedene Sessel
Der Tisch ist notdürftig gedeckt
Eine hohe Tür links, eine hohe Tür rechts
Drei große hohe Fenster mit Blick auf den Heldenplat z
Die Jalousien sind offen
Kisten und Koffer mit der Aufschrift Oxford
Professor Robert, Professor Liebig und Frau,
Herr Landauer und Anna sitzen an den Wänden,
Olga auf einer Kiste, und warten auf die
Frau Professor Schuster und Lukas
PROFESSOR ROBERT
Denkanstöße geben
mehr war es ja nicht
Die Zuhörer haben immer taube Ohren
es wird geredet aber es wird nicht verstanden
Zur Selbstverleugnung nicht befähigt
in allen diesen Gesichtern ist doch nur Anmaßung
sonst nichts
Alle Wissensgebiete geschändet
alle Kultur vernichtet
den Geist ausgetrieben
Früher ist es ein Vergnügen gewesen
auf die Straße zu gehen
naturgemäß auch alles irrtümlich
irrtümlich alles naturgemäß
er schaut auf die Straße
Redet man mit einem Menschen
stellt sich heraus er ist ein Idiot
in jedem Wiener steckt ein Massenmörder
aber man darf sich die Laune nicht verderben lassen
Es ist die Logik ganz einfach in der Schicksalsgemeinschaft
ersticken zu müssen
Wien ist eine kalte graue Stadt provinziell
das Amerikanische macht es so widerwärtig
Der Amerikanismus hat hier alles zerstört
Ich habe mir die Laune nie verderben lassen
Das Österreichische frage ich mich immer
was ist es
die Absurdität zur Potenz
es zieht uns an und stößt uns ab
total verkommener Sozialismus
total verkommenes Christentum
Am Ende sind wir doch alle nur angewidert davon
das ist das Deprimierende
ANNA
Ich werde jedenfalls den Brief an den Bürgermeister aufsetzen
du mußt ihn ja nicht gleich unterschreiben Onkel Robert
Die Straße reißt ja das Grundstück vollkommen auseinander
Die Mutter ist ja hilflos
mit der Mutter macht die Gemeinde ja was sie will
die Mutter kann nichts unternehmen
Angeblich soll auch die Kirche abgerissen werden
OLGA
Neuhaus ist ja schon ruiniert
PROFESSOR LIEBIG
Ich erinnere mich genau an Neuhaus
wir waren jeden Sommer zwei Wochen in Neuhaus
PROFESSOR ROBERT
Für uns war es auch immer nur die Sommerfrische
Während unserer Englandzeit ist es mehr oder weniger verfallen das Haus
ANNA
Onkel Robert hat es sich so schön hergerichtet
Den großen Garten angelegt
Und jetzt wird das alles durch die neue Straße ruiniert
FRAU LIEBIG
Mit dem einzelnen wird heute gemacht was der Staat will
PROFESSOR LIEBIG
Das war immer so
PROFESSOR ROBERT
Dem einzelnen ist vom Staat immer auf den Kopf gemacht worden
PROFESSOR LIEBIG
Eine schlimme Zeit
PROFESSOR ROBERT
Dem Denkenden kann in der Frühe nur übel werden
PROFESSOR LIEBIG
Es herrschen überall chaotische Zustände
Die Lüge beherrscht alles
und das Unvermögen
HERR LANDAUER
Wahrscheinlich wird die Regierung im Herbst umgebildet
PROFESSOR LIEBIG
Darum geht es ja nicht
das ist ja vollkommen gleichgültig was das für eine Regierung ist
es ist ja eine wie die andere
es sind ja immer dieselben Leute
es sind ja immer dieselben Geschäfte
die diese Leute machen
es sind immer dieselben Interessen
das sind ja immer diese ganz und gar verkommenen Leute
die mit jedem Tag den Staat mehr
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