Heldensabbat
sich. Zwangsläufig kamen Hauptamtliche der Spruchkammern von auswärts und wurden nicht selten als schlimme Nazis entlarvt. Die Narrenposse ›Der Bock als Gärtner‹ war das meistaufgeführte Stück im Zeitrepertoire. Es erwies sich als persönliches Pech des Dr. Schütz, daß der Vorsitzende als Mainbacher die Verhältnisse gut kannte und seine Integrität unantastbar war und daß er sich als Verwaltungsjurist auch nicht von Ausflüchten einwickeln ließ.
»In gewisser Hinsicht muß ich Ihnen sogar recht geben, Herr Vorsitzender«, änderte Dr. Schütz seine Taktik. »Aber ich wurde nur Anstaltsleiter, um als Vorgesetzter das Schlimmste von meiner Schule fernzuhalten. Ich darf darauf hinweisen«, fuhr er eilfertig fort, »daß mehrere Angehörige meines Lehrerkollegiums keine Parteigenossen waren.« Er hob Augen und Stimme: »Das ist ausschließlich mein Verdienst, Herr Vorsitzender.«
»So«, erwiderte der Vorsitzende müde, »und Ihre Reden?«
»Auf Befehl des Ministeriums.«
»Und die Aufsätze, die Sie schreiben ließen?«
»Anordnung von oben.«
»Und die Schüler, die Sie drängten, sich als Kriegsfreiwillige zu melden und Offizier zu werden?«
»Ich habe immer sehr national gedacht, Herr Vorsitzender.«
»Dann war also für Sie der Nazismus eine nationale Sache?«
Dr. Schütz wand sich wie eine Blindschleiche. »Nein – ja, ich meine – gewissermaßen. Erster Weltkrieg. Frontoffizier – aber nicht so – das Gute aus jeder Sache. Natürlich verurteile ich die Bewegung heute wie immer schon.«
»Und wie können Sie diese Behauptung beweisen?«
»Bei den Akten befinden sich einundvierzig Zeugnisse von Leuten, die mich gut kennen, darunter eine Bescheinigung von meiner Zugehfrau. Ihr Mann ist sogar eingeschriebener Kommunist …«
Klein wehrte ab. »Das kennen wir«, sagte er angewidert.
»Sie müssen das berücksichtigen, Herr Vorsitzender«, drängte Dr. Schütz. »Die Leute, die meine Vergangenheit kennen, sind sogar Geistliche beider Konfessionen, auch Sozialdemokraten, sogar ein Jude.« Als er das letzte Wort aussprach, zuckte er zusammen, als hätte ihn eine Peitsche getroffen.
»Ich weiß, Karl Simon«, unterbrach ihn Klein. »Leider ist er schon 1936 ausgewandert. Bringen Sie mir greifbare Zeugen, Herr Dr. Schütz, sonst kommen wir nicht weiter.«
»Sie haben ja keine Ahnung, unter welchem Druck man im Dritten Reich stand«, suchte der Rex ein neues Schlupfloch. »Ich war zwar der Chef, aber zu meinem Lehrkörper gehörten zum Beispiel auch ein Altparteigenosse, ein SA-Standartenführer und einige Fanatiker.«
»So kommen wir der Sache schon näher«, erwiderte der Ex-Postrat nicht ohne Witz. »Nennen Sie Namen, dann haben wir auch Zeugen.«
»Ich soll –«
»Sie müssen, Herr Dr. Schütz«, fuhr ihn der Vorsitzende an. Auch die Beisitzer nickten, und der Öffentliche Ankläger saß auf dem Stuhl wie auf einer Sprungfeder. »Also, wer waren denn die schlimmen Nazis am Mainbacher Gymnasium?«
»Ich möchte hier niemanden denunzieren.«
»Denunzieren nennen Sie das?« fuhr ihn der mannhafte Ex-Postrat an.
»Ich meine angeben«, korrigierte sich Dr. Schütz.
»Wenn Sie ein innerer Gegner des braunen Systems waren, müßte es für Sie selbstverständlich sein, hier offen über Ihre Schwierigkeiten zu sprechen.«
Dr. Schütz starrte mit hohlem Blick auf den Fußboden. Er kämpfte mit sich; den Kampf gewann wie immer seine Charakterlosigkeit. »Es weiß doch jeder, daß Dr. Pfeiffer als Alt-Pg im Internierungslager war«, würgte er hervor. »Und der Singlehrer Stocker Ortsgruppenleiter und Standartenführer –«
»Das weiß jeder«, bestätigte der Vorsitzende. »Nur die Namen der Fanatiker würde ich von Ihnen gerne noch hören.«
In die Enge getrieben, wechselte der Mann mit dem Vatermörder wieder die Taktik. »Ich habe sogar aktiven Widerstand geleistet«, begab er sich in gefährliches Gewässer. »Einer meiner Assessoren, Dr. Faber, war in eine schlimme politische Sache verwickelt. Ich, ich ganz allein, habe ihm herausgeholfen.«
Dr. Schütz saß in der Falle. Ich witterte es: Eine Ungeheuerlichkeit, einen Toten zum Herzstück einer Lüge zu machen und die Wahrheit einfach umzudrehen.
»Dr. Faber ist leider gefallen«, stellte der Rex fest.
»Leider«, erwiderte der Vorsitzende ohne Nachdruck. »Aber es gibt einen engen Freund des Verstorbenen, den Versicherungsjuristen Claus Benz.«
Der Beschuldigte wurde aschfahl im Gesicht, fuhr sich mit dem Handrücken
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