Heldensabbat
wie Duodezfürsten und legten die Weisungen des Military Government nach Gutdünken aus. Man nannte sie »Landkreiskönige«, und manche dieser spätabsolutistischen Herrscher waren besser als ihre Vorschriften, aber nicht wenige von ihnen neigten zu Klüngelwirtschaft und förderten Günstlinge ihrer Wahl. Eine der neugegründeten deutschen Zeitungen in Frankfurt hatte so zum Beispiel acht kommunistische Lizenzträger, und bei einer süddeutschen Stadtverwaltung tummelten sich die Homosexuellen.
Mainbachs Gouverneur war ein besonnener, ordentlicher Offizier. Der Oberbürgermeister aus der Vornazizeit lebte noch und konnte sein altes Amt wieder antreten. Und in Peter Stone stand der Militärregierung ein Berater zur Verfügung, der die Vergangenheit der Sieben-Hügel-Stadt selbst miterlebt hatte.
Nach einer Viertagereise kehrte Tarzan in blendender Laune zurück. Er kredenzte uns einen Bocksbeutel aus Tante Gundas unerschöpflichen Beständen. Dann öffnete er seine Postmappe wie eine gütige Fee. »Hier, Bongo«, sagte er und schob dem Freund eine Bescheinigung zu, »dein Spruchkammerbescheid. Gratuliere: Du bist vom Gesetz nicht betroffen.«
»Ich muß dir etwas gestehen, Tarzan«, erwiderte Kalle. »Ich bin ja sieben Jahre älter als ihr beiden. Ich war damals für die HJ schon zu alt, und bevor sich die Frage Partei oder SA stellte, wurde ich zur Wehrmacht eingezogen. Das hier«, setzte er hinzu und wies auf die Bescheinigung, »verdanke ich keiner politischen Entscheidung, sondern einem glücklichen Zufall.«
»Ich muß dir auch etwas gestehen«, versetzte der Captain. »Ich habe deine Angaben vom Document Center überprüfen lassen.«
Einen Moment war Kalle verblüfft. »Dich werde ich nicht mehr unterschätzen, Tarzan«, sagte er dann grimmig.
»Und nun zu dir, Fähnleinführer«, wandte sich der wendige Hüne mir zu. »Ich habe deinen Fragebogen und Greifers Aktennotiz der zuständigen Spruchkammer vorgelegt. Normalerweise hätte man dich in Gruppe III, als Minderbelasteten, eingestuft. Der Vorsitzende und die Beisitzer bewerten jedoch deinen Parteiaustritt, vor allem die Art, wie er geschehen ist, einstimmig als aktiven Widerstand, deshalb wurdest du als Entlasteter in Gruppe V eingestuft.« Er überreichte mir den Spruchkammerbescheid. »Du kannst dich bei deinem Ex-Bannführer Greifer bedanken.« Er lächelte süffisant.
Zunächst einmal bedankten wir uns bei ihm.
»Nein, nein«, wehrte Peter ab. »Ich habe die Entscheidungen wirklich nicht beeinflußt und nur dafür gesorgt, daß sie rasch erfolgt sind. Und nun auf ins Leben, Freunde!« sagte er und hob das Glas.
Er hatte Kalle bei Dr. Herter, dem Stellvertreter des Oberbürgermeisters und Treuhänder der »Bertrag«, angemeldet. Für mich war der Weg zur Universität frei geworden. Ich fuhr am nächsten Tag nach Erlangen und kehrte als Jurastudent nach Mainbach zurück.
Inzwischen war Sibylle Faber aus Dettelbach eingetroffen, offensichtlich nicht mit leeren Händen, denn sie lud uns alle zu einem sonntäglichen Mittagessen ein, neben Kalle und mir auch meine Tante Marie-Luise, meine Kusine Adele und natürlich Captain Stone. Ein wenig hatte ich gehofft und gefürchtet, daß Sibylle auch Claudia zu Tisch bitten würde. Als sie jetzt fehlte, merkte ich, daß meine Enttäuschung größer war als meine Befürchtung.
Ein herrlicher Maitag. Die Sonne verwöhnte uns so, daß wir auf der Terrasse tafeln konnten. Der alte Kastanienbaum im Garten stand in voller Blüte, an seinen mächtigen Stamm hatte Bongo eine selbstgefertigte Zielscheibe geheftet, und Hänschen traf mit Pfeil und Bogen jauchzend ins Schwarze. Nach wie vor waren bei dem Siebenjährigen die anderen mehr oder weniger abgeschrieben, wenn Kalle in seine Nähe kam, aber seine drei Erzieherinnen – Sibylle, Mutter Mathilde und Tante Gunda – waren nicht mehr eifersüchtig, sondern nutzten die Zuneigung des Jungen. Hänschen hatte seinen eigenen Willen, konnte trotzig werden, wenn man ihn brechen wollte. Nunmehr ließen sie Bongo ihre pädagogischen Wünsche wissen; er sprach mit dem Knirps von Mann zu Mann, und der Junge nickte, die Einsicht selbst.
»Dein Freund tut Hänschen richtig gut«, sagte Sibylle.
»Er wird auch deiner Firma gut tun«, stellte ich fest.
»Genug jetzt, Hänschen«, entschied Bongo.
»Aber nach dem Nachtisch machen wir weiter«, bat der Junge.
»Einverstanden«, versprach der Freund. Er tauschte mit Sibylle einen freundlichen Blick – und erstmals kam
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