Heldensabbat
später »Place de la Concorde«, »Platz der Eintracht«, genannt wurde. Jedenfalls war der Abschiedssatz der geköpften Dame zum geflügelten Wort geworden, gültig zu jeder Zeit.
Captain Gransmith vergaß, daß er zwei Ränge unter dem französischen Lieutenant-Colonel stand. Er wollte gerade aus dem Wagen springen, hochwuchten und Monsieur Prenelle aus der Wohnung scheuchen wie einen Rekruten aus der Klappe, aber in diesem Moment erschien der späte Louis Quatorze. Keine Entschuldigung. Kein Stäubchen auf der Uniform, der man den Schneider erst noch auszwicken mußte. In der Hand hielt der Geschniegelte eine Reitpeitsche, aber an den blankgewichsten Stiefeln sah man keine Sporen, er wäre wohl auch von jedem Pferd gefallen. Prenelle blinzelte gegen die Sonne; er duftete wie ein andalusisches Freudenhaus. Sein Gesicht war von den Jahren plissiert, graumeliert das Haar. Auf der Oberlippe trug er einen Schnurrbart, keine kleine Bürste wie einst der Führer, sondern das schwungvolle Gebilde eines Bonvivants aus dem vorigen Jahrhundert.
Ich stieg aus und riß Prenelle den Wagenschlag auf.
Er wartete, daß auch der Amerikaner aussteigen und vor ihm strammstehen würde, aber da hatte er sich getäuscht. Der Captain blieb mit angewinkelten Beinen und angespitzten Mundecken im Fond sitzen und schob den Kaugummi in seinem Mund von der linken auf die rechte Seite.
»You're late, Sir, very late, indeed«, stellte der Texaner, auf dessen Uniformbluse die Orden Platznot hatten, unfreundlich fest; aber Englisch war für diesen Lieutenant-Colonel Luft, schlechte Luft.
»Nous sommes en retard«, übersetzte ich – aber er schwieg verächtlich: Ein Boche war für ihn noch miesere Luft.
Ich fuhr los, reihte mich in den Verkehrsstrom ein, Richtung Place de l'Etoile. Der Verkehr war so stark, daß ich immer wieder in eine Stockung geriet und Zeit hatte, den 50 Meter hohen Arc de Triomphe über dem Grabmal des unbekannten Soldaten anzusehen, einen der schönsten Plätze der Welt, an dem sternförmig zwölf breite Avenues münden. Der große Napoleon hatte ihn einst in Auftrag gegeben, aber bei seinem Einzug 1810 war es vorwiegend noch ein potemkinscher Triumphbogen aus Sperrholz, Leinwand und Kleister gewesen. Als das prunkvolle Mahnmal endlich fertig geworden war, ruhte der Empereur längst im Invalidendom. Sechzig Jahre hatten sich Gelehrte, Militärs und Politiker gestritten, welche Schlacht und welche Feldherren würdig genug seien, in dieser französischen Walhalla verewigt zu werden. Man einigte sich schließlich auf hundertachtundzwanzig Siege und fünfhundertachtundfünfzig Generäle. Für das Millionenheer der gewöhnlichen Soldaten, Unteroffiziere und niedrigeren Offiziersränge war kein Platz gewesen.
Endlich erreichte ich die Avenue Foch. Der Verkehr wurde jetzt etwas dünnflüssiger, ich kam zügiger voran. Die beiden Waffenbrüder saßen im Fond, so weit wie möglich auseinandergerückt; der eine sah nach links, der andere nach rechts. Erst als vor einem Kinopalast das übergroße Plakat einer vollbusigen Filmschönheit in Sicht kam, Fleisch aus Pappe, hatten sie wieder eine Gemeinsamkeit und dieselbe Blickrichtung.
Die Gehsteige blieben weiterhin ein Laufsteg von Anmut und Chic. Im Gegensatz zu früher waren jetzt im Straßenbild kaum mehr Uniformen zu sehen. ›Lex loups‹ nannten die Französinnen ihre Boyfriends aus Übersee, ›die Wölfe‹. Sie waren nicht zottig und grau, sondern kurzhaarig und olivgrün; Amis, die versucht hatten, auch die soliden Stadtteile der Seine-Metropole in einen Liebesbasar zu verwandeln, in Heerscharen hinter allem herlaufend, was einen Rock trug und sich bewegte. Die GIs waren moralisch nicht zurückhaltender als ihre feldgrauen Vorgänger, aber sie erwiesen sich als reicher. Ihr Schlachtruf: »How much, darling?« hallte durch die Straßen, bis die US Army Paris ›Off limits‹ erklärte, zum Sperrgebiet, für dessen Betreten eine Sondererlaubnis nötig war.
Mit fünfundvierzig Minuten Verspätung erreichte ich die Dienststelle am Bois de Boulogne. Der US-General und sein Gefolge standen vor dem Haus, nicht für ein Sonnenbad, sondern für ein Donnerwetter: Der Drei-Sterne-General putzte Monsieur Prenelle zusammen wie einen Schuljungen. Der Lieutenant-Colonel plusterte sich auf wie ein Truthahn; es nutzte nichts, er war nicht bei Stimme, und als er sie endlich wiederfand und sich verbitten wollte, so rüde behandelt zu werden, brüllte ihn der hohe Gast mit »Shut up!«
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