Heldensabbat
vorbei, aber der schwarze Saft floß noch immer von der Insel zum Kontinent und versickerte unterwegs. »Pluto«, die erste Pipeline der Welt, von Großbritannien nach Frankreich – sie hatte entscheidend zum Gelingen der Invasion beigetragen –, pumpte jetzt vorwiegend für den Schwarzmarkt.
Benzin verdirbt den Charakter: Zwischen der Invasion und dem Herbst 44 waren im befreiten Teil Frankreichs 15,5 Millionen Kanister verschwunden und durch weitere Schiebungen der Front rund 30 Millionen Hektoliter Benzin entzogen worden. Mitunter hatten General Pattons Panzer gestanden, weil französische Privatfahrzeuge fuhren.
So sehr Captain Gransmith auch fluchte, der gallische Hahn – oder auch Hahnrei – war noch immer nicht zu sehen. Auch wenn wir längst über der Zeit waren und ein amerikanischer General sich angesagt hatte, leistete sich Prenelle ein Lever wie der Sonnenkönig. Er war arrogant und produzierte sich in beständiger Selbstüberschätzung. Mitunter kam er mir vor wie ein kleiner Dackel, der hochgewachsene Doggen anbellt.
Ich mochte ihn nicht, aber das konnte ihm gleichgültig sein.
Ein Lastwagen fuhr an dem Chevy so knapp vorbei, daß kein Daumenbreit mehr zwischen den beiden Wagen lag. »Dirty bastard people«, fluchte der Texaner.
»Na, na, na, Sir«, erwiderte ich. »What about Yvette?« fragte ich den Captain nach seiner Favoritin.
»She's okay«, versetzte er.
»And Denise?« fragte ich nach einem weiteren Flirt.
»She is nice.«
Wir lachten beide, und der Captain brummelte, daß er seine früheren Waffenbrüder dahin wünsche, wo der Pfeffer wachse, ihre Frauen und Töchter aber schon in Ordnung seien; und ich erwiderte geistreich, daß es nun einmal so sei auf Erden und man von einem Rind nicht nur das Filet haben könne.
Es war ungewöhnlich warm an diesem späten Vormittag; die Sonne schien die giftigen Benzindämpfe zu absorbieren, und ganz Paris lächelte mit einem Mund. Man trug wieder Herz. Wenigstens an einem so herrlichen Tag. Schon am frühen Morgen schlenderten die Pärchen Hand in Hand über die verwinkelten Straßen und verträumten Plätze, blieben stehen, liebkosten einander, ohne sich um die Passanten zu scheren. Gewiß, die Menschen waren nach dem Sündenfall aus dem Garten Eden vertrieben worden, aber trotz Dornen und Disteln, mit denen sie bestraft worden waren, mußte die Liebe überlebt haben.
April in Paris. Die Bistrotüren standen offen, die Luft war seidig weich; sie prickelte wie Champagner. Die Sonne überzog die Dächer der Seine-Metropole mit Goldglanz, ausgerechnet vom Montmartre her, der sonst das Dunkel bevorzugte. Die Alten und Müden krochen aus ihren Wohnungen ins Freie wie Engerlinge im Frühling aus der Erde. Die Kinder lachten und leisteten sich Ballspiele auf der Straße. Die Autofahrer hupten nicht, sondern warteten geduldig, bis die Kleinen die Fahrbahn räumten. Die Mädchen und Frauen trugen bereits bunte Sommerfähnchen, kesse Halbwüchsige neben eleganten Gesetzteren.
Sie schritten über das harte Pflaster wie über eine Blumenwiese, mit dem Flair und Elan, zu dem Boulevard-Städte ihre Töchter erziehen. Fast alle trugen die Produkte der US-Firma Du Pont über ihren schlanken Fesseln. Es schien auch eine Pipeline für Nylons zu geben. Unschwer im Gewimmel zu erkennen auch die »Demoiselles de la petite vertu«, wie die Franzosen sagen, die »Damen von der kleinen Tugend«, Bordsteinschwalben, stets im Dienst und stets zu Diensten.
Viele von ihnen machten aus der Not eine Mode; sie waren bei der Befreiung Frankreichs – oder noch Monate später – wegen ihrer Beziehungen zu den Feldgrauen kahlgeschoren und nicht selten auch geteert und gefedert worden; deshalb trugen sie jetzt die nur langsam nachwachsenden Haare modisch kurz.
Frankreich war bei Kriegsende durch Résistance und Collaboration wie zwischen zwei Klingen einer Schere geraten. Schuldige wurden gejagt, Unschuldige verfolgt; Rechnungen wurden beglichen und neue erstellt, Denunzianten zur Rechenschaft gezogen und Unbeteiligte denunziert. Es war eine lange Bartholomäusnacht gewesen, bei der mehr Menschen ihr Leben verloren hatten als während der Großen Revolution.
»O Freiheit, wie viele Verbrechen werden in deinem Namen begangen«, hatte damals Madame Roland dem johlenden Pöbel zugerufen, bevor sie – gleich zweitausendachthundert anderen Adeligen, Priestern und Revolutionären – das Schafott bestieg, unweit meines jetzigen Standortes, an einer Stelle, die
Weitere Kostenlose Bücher