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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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ferngehalten, bis der Regen aufgehört und der Sturm sich gelegt hatte.
    Schlamm schmatzte an den Hufen ihres Pferds, als sie sich dem verwüsteten Lager näherte, doch das Land um sie herum bot keinen tristen Anblick. Denn beinahe so, als hätte der Boden die Lebenskraft der Erschlagenen aufgesogen, hatten die Gräser und Kräuter und Büsche Knospen gebildet, die sich zu einem Meer aus Blüten geöffnet hatten. Der Gestank von verbranntem Fleisch vermischte sich mit einem süßen Duft der Fruchtbarkeit.
    Die alte Schamanin stimmte den Gesang an, mit dem man die Toten ins Reich der Ahnen geleitete, als sie den ersten Kadaver eines Pferdes passierte. Der einsame Schakal, der sich an das Aas gewagt hatte, scherte sich nicht darum. Er hob nur kurz den Kopf, zeigte ihr seine blutige Schnauze und fraß weiter, wie es nun einmal seine Bestimmung war.
    Pukemasu hatte die beklemmende Stille des Todes erwartet, und ihre Melodie verstummte jäh. Nicht wegen der drei Pferde, die unweit des Gerippes eines Zelts standen und sie erwartungsvoll anblickten, gelassen und gern bereit, sich von ihr zu einer neuen Herde führen zu lassen. Nein, es war das klagende Gewimmer aus dieser Richtung, das Pukemasu die Worte raubte. Sie trieb ihren Hengst zu größerer Eile an – ein treuer Freund, dessen Fell so grau war wie ihr eigenes Haar –, und was sie dann im Gras neben einer tiefen Pfütze sitzen sah, versetzte ihrem Herzen einen Stich: Der Junge konnte nicht mehr als drei Sommer gesehen haben. Er war nackt, die Haut von Asche verkrustet. Auf seinen Wangen hatten Tränen breite Bahnen in den Ruß gezogen. Auf seiner rechten Schulter war eine Wunde von Schorf verschlossen, und Pukemasu hatte auf genügend solcher Verletzungen heilende Salben aufgetragen, um zu wissen, woher sie stammte. Es war ein Pferdebiss.
    Der Junge bemerkte sie, schluchzte ein letztes Mal und wurde still. Die Hände, die er eben noch trotzig zu Fäusten geballt hatte, legte er in den Schoß, und er blickte Pukemasu aus wachen Augen an. »Du bist da«, sagte er, und da seine Kehle vom Weinen heiser war, klang er wie ein Greis.
    Pukemasu schauderte. Es kostete sie Mühe, den Bann, in den der Junge sie mit einem einzigen Blick geschlagen hatte, zu brechen. Sie sah zu den Überresten des Zelts, zu den auf Puppengröße zusammengeschrumpften Leichen, die dort beisammen lagen. Die Geister schenkten ihr unvermittelt eine Einsicht, wie sie es manchmal taten, um sie für ihre Dienste zu belohnen. Sie verflocht miteinander, was ihre Sinne ihr verrieten. Das Blut an den Nüstern eines der drei Pferde. Der Schorf auf der Schulter des Jungen. Die vom Feuer geschwärzten Stangen des Zelts. Konnte das wirklich sein? War das Kind nur deshalb nicht verbrannt wie die anderen, weil ein Pferd auf wundersame Weise seine natürliche Angst vor lodernden Flammen überwunden hatte, um es zu retten?
    »Hast du die Pferde gerufen?«, fragte sie den Jungen.
    Er nickte.
    »Und sie sind gekommen?«
    Ein weiteres Nicken.
    Pukemasu, die es eben noch gefröstelt hatte, spürte einen heißen Wind in ihrem Nacken. Wie von einem Feuer, das groß und zornig genug war, die ganze Welt in Schutt und Asche zu legen. »Ihr Geister«, murmelte sie. »Was habe ich euch getan, dass ihr mir eine solch schwere Prüfung auferlegt?«

1

     
Ich kann euch nicht verbieten,
zu den Geistern zu sprechen. Doch vergesst niemals:
Nicht alle Geister sind der Wahrheit verpflichtet.
Aus den Warnungen der Ewigen Wanderin
     
    Als Teriasch aus der Schwitzhütte trat, dampfte sein Leib in der kühlen Luft des jungen Morgens. Er war bereit. Er hatte alles so getan, wie Pukemasu es ihn gelehrt hatte. Das Zuschneiden der Weidenruten für das Gerüst der Hütte. Das Flechten der Äste für das Dach. Das Aufschichten der Steine für die Feuerstelle. Ich glaube sogar, ich habe die Lieder richtig gesungen und den Wurzelsud an der genau passenden Stelle getrunken. Sie wäre stolz auf mich. Oder zornig. Oder beides.
    Das Haar der alten Schamanin wäre sicher noch einen Stich grauer geworden, hätte sie geahnt, wohin ihr Schüler vor zwei Tagen aufgebrochen war. Es war gefährlich, den Geistern allein entgegenzutreten, insbesondere an dem Ort, an den die Schamanen aus den Sippen dieser Gegend gingen, um ihre letzte Wanderung anzutreten. Eine tiefe Senke, in der Wasser aus dem Boden sprudelte, das die Tiere der Steppe mieden, weil es nach faulen Eiern roch. Teriasch hatte keine Angst. Die Schamanen kommen zum Sterben hierher. Und?

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