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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Prolog

     
    Die Nacht, in der Tamnis Stamm ausgelöscht wurde, begann mit einem Fest. Die Jungen tanzten um die Feuer und wirbelten ihr Haar umher, Schellenkränze um die Knöchel. Die Alten schauten zu, lachten und klatschten im Takt. In Strömen floss die vergorene Milch der Stuten, löste die Zungen und öffnete die Herzen.
    Und hatten die Sukawantschi Manil, die Kinder der Weite, nicht auch allen Anlass zur Freude? Hatte es nicht noch am Morgen eher danach ausgesehen, als müssten sie die Sehnen auf ihre Bögen spannen und als würden die steinernen Köpfe ihrer Keulen bald Blut schmecken?
    Immer sonst, wenn die Suda Ojate, die Harten Menschen in ihren Rüstungen aus Metall, auf ihr Land gekommen waren, hatten sich die Fremden feindselig gezeigt. Hatten getötet und geraubt. Hatten die Männer und die Alten erschlagen und die Frauen und die Kinder verschleppt. Hatten die Zelte in Brand gesteckt oder sie mit den massigen Leibern ihrer gepanzerten Reittiere zermalmt – Bestien so hoch wie zwei Männer, mit dicker Haut grau wie Stein und einem fleischigen Schlauch als Schnauze, der zwischen zwei spitzen Stoßzähnen herunterbaumelte.
    Diesmal war alles anders gewesen.
    Die Harten Menschen – nicht mehr als zwei Dutzend und den Kindern der Weite damit an Zahl deutlich unterlegen – schlugen ein Lager auf, um einen der Haufen aus aufgeschichteten Steinen herum, mit dem alle Sippen der Steppe die Stellen markierten, an denen es sich lohnte, nach Wasser zu graben. Dann setzten sie sich hin und warteten. Sie blieben selbst dann noch sitzen, nachdem Scheschoka den Haltepfiff für den gesamten Tross ausgestoßen und sich die Staubwolke um die Kinder der Weite wieder gelegt hatte. Nur einer der Fremden hob die Hand und winkte. Zweimal von links nach rechts, dann noch zweimal, wie man winkte, wenn man jemanden zu sich ins Zelt einlud.
    »Lasst sie uns töten!«, drängten einige der heißblütigeren Krieger, die noch kein Bild auf der Haut trugen, womit sie stolz beweisen konnten, schon einmal einen Feind erschlagen zu haben.
    »Lasst uns ihnen keine Beachtung schenken und weiterziehen«, war die Forderung mancher der erfahreneren Männer und Frauen.
    Scheschoka, dem der Schamane nach Rücksprache mit den Geistern für diesen Mond die Rolle des Entscheiders zugedacht hatte, hatte weder auf die einen noch auf die anderen gehört. Und Tamni war stolz darauf, dass er sich an das Gesetz der Steppe gehalten hatte.
    Scheschoka schoss einen Pfeil zu den Harten Menschen hinüber, um dessen Schaft er ein blaues Band gewunden hatte. Der eine Fremde, der zuvor gewunken hatte, erhob sich, um den Pfeil aus der Erde zu ziehen. Tamni fiel auf, dass sich dieser Harte Mensch von seinen Begleitern unterschied. Er trug keine Rüstung, sondern ein locker fallendes rotes Gewand, das der stete Steppenwind aufbauschte, und für einen Moment wirkte es, als loderten Flammen aus seinem Rücken. Den Pfeil in der Hand, sah er kurz zu ihnen herüber, ehe er in einem der sonderbaren Zelte verschwand, das die Harten Menschen aufgebaut hatten. Es war nicht rund wie ihre eigenen Zelte. Es hatte vier Ecken, ganz so, als müsste alles, was diese Fremden ihr Eigen nannten, kantig sein und Spitzen aufweisen.
    »Sie sind dumm«, murrte ein junger Krieger. »Sie wissen nicht, was der Pfeil bedeutet. Sie haben es nicht einmal verdient, dass ihre Haut mein Zelt schmückt.«
    »Was willst du mit ihrer Haut?«, entgegnete einer seiner Freunde. »Sie schreiben sich doch nicht einmal ihre Taten darauf. Sie haben Kinderhäute.«
    Scheschoka, dessen Hals so rot war wie der des Vogels, von dem er seinen Namen erhalten hatte, zeigte zum Lager der Harten Menschen. »Da.«
    Der Fremde im roten Gewand war aus dem Zelt herausgetreten, begleitet von einem zweiten Mann, der nun in ihre Richtung zeigte. Einer der Gepanzerten reichte ihm einen Bogen. Ein Raunen ging durch Tamnis Stamm. Ein Pfeil schwirrte auf sie zu. Tamni hielt den Atem an. Das Geschoss landete keine zwanzig Schritt vor Scheschoka im kniehohen Gras. Scheschoka stieg von seinem Pferd und eilte zum Pfeil. Tamni konnte das blaue Band darum sehen und die kleine Ausbuchtung in dem gewickelten Stoff. Geschickt legte Scheschoka frei, was die Fremden ihnen gesandt hatten: einen Streifen Dörrfleisch. Ein Hund wuselte kläffend unter den Beinen von Tamnis Pferd hindurch, um frech Anspruch auf den Leckerbissen zu erheben.
    Scheschoka sah auf das Fleisch, zu den Harten Menschen, wieder auf das Fleisch, und dann suchte

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