Helle Barden
ganz so heißen Abend. Karotte ging instinktiv im Patrouillenschritt.
»Dies ist eine sehr alte Straße«, sagte er. »Unter ihr soll ein Bach fließen. Das habe ich irgendwo gelesen.«
»Wanderst du wirklich gern?« fragte Angua, die neben Karotte ging.
»Ja. Hier gibt es viele interessante Gassen und historische Bauwerke. An meinen freien Tagen streife ich häufig umher.«
Angua musterte den jungen Mann. Lieber Himmel, dachte sie.
»Warum bist du zur Wache gegangen?« fragte sie.
»Mein Vater meinte, sie würde einen Mann aus mir machen.«
»Das scheint geklappt zu haben.«
»Ja. Es gibt keine bessere Arbeit.«
»Wirklich nicht?«
»Nein. Weißt du, was ›Polizist‹ bedeutet?«
Angua hob und senkte die Schultern. »Keine Ahnung.«
»Nun,
polis
ist ein altes Wort für Stadt, und deshalb bedeutet ›Polizist‹ in etwa ›Mann der Stadt‹.«
»Ja?«
»Ich hab’s in einem Buch gelesen. Mann der Stadt.«
Angua beobachtete Karotte von der Seite. Sein Gesicht schien im Schein der Fackel an der nächsten Straßenecke zu glühen. Aber dazu kam noch ein innerer Glanz.
Karotte war
stolz.
Angua erinnerte sich an den Eid.
Bei allen Göttern, er ist
stolz
darauf, ein Wächter zu sein…
»Und du?« fragte er. »Warum hast du dich der Wache angeschlossen?«
»Ich? Oh. Nun, ich mag es, mehr oder weniger regelmäßig zu essen und unter einem Dach zu schlafen. Außerdem hatte ich keine besonders große Auswahl. Entweder Wächterin oder – ha! – Näherin 10 .«
»Kannst du nicht gut nähen?«
Anguas argwöhnischer Blick ermittelte ehrliche Unschuld.
»Leider nein«, erwiderte sie. »Und dann sah ich das Plakat: ›Die Stadtwache brauchet Männer! Sei ein Manne in der Stadtwache!‹ Da dachte ich mir: Versuch’s einfach mal; du hast nichts zu verlieren.«
Angua wartete auf eine Reaktion, die auch prompt kam.
»Der Text stammt von Feldwebel Colon«, erklärte Karotte. »Er denkt immer sehr direkt.«
Er schnüffelte.
»Riechst du das?« fragte er. »Hier stinkt’s wie… wie ein alter Abortteppich.«
»Oh, herzlichen Dank«, erklang eine leise Stimme irgendwo in der Dunkelheit. »Danke vielmals. Das ist sehr Dingsbums… nett. Ein alter Abortteppich. O ja.«
»Ich rieche nichts«, log Angua.
»Lügnerin«, sagte die Stimme.
»Und ich höre auch nichts.«
Seine Stiefel teilten Hauptmann Mumm mit, daß er sich nun in der Teekuchenstraße befand. Er setzte automatisch einen Fuß vor den anderen, in Gedanken weilte er ganz woanders. Mindestens ein Teil seines Bewußtseins schwamm in Jimkin Bärdrückers bestem Nektar.
Wenn sie nur nicht so
höflich
gewesen wären! In seinem Leben hatte er mehrere Dinge gesehen, die seitdem einen festen Platz in seinem Gedächtnis behaupteten, obgleich er sie vergessen wollte. Ganz oben auf der Liste hatte bisher der Anblick von Mandeln im Maul eines riesigen Drachen gestanden, der tief Luft holte, um einen bestimmten Wächter in einen kleinen Haufen unreiner Holzkohle zu verwandeln. Manchmal, in gräßlichen Alpträumen, sah er das Licht der Flamme tief im Rachen… Doch jene Bilder wurden jetzt von Erinnerungen an unbewegte Zwergenmienen verdrängt, die ihn höflich ansahen. Seine Lippen hatten sich bewegt und Worte geformt, doch er hatte gespürt, wie sie in eine unauslotbar tiefe Grube fielen.
Was konnte er schon sagen? »Tut mir leid, er ist tot – daran läßt sich leider nichts ändern. Unsere schlechtesten Leute arbeiten an dem Fall.« Etwas in der Art?
Das Haus des verstorbenen Bjorn Hammerhock war voller Zwerge gewesen – voller schweigender, stumm starrender und
höflicher
Zwerge. Es hatte sich bereits herumgesprochen. Mit welchen Neuigkeiten Mumm auch kam, seine Zuhörer wußten längst Bescheid. Viele Zwerge führten Waffen mit sich. Der Hauptmann erkannte Herrn Starkimarm, der oft und gerne Reden über sein Lieblingsthema hielt: Immer wieder regte er an, alle Trolle in kleine Stücke zu schlagen und diese anschließend für den Straßenbau zu verwenden. Diesmal aber blieb er stumm. Gab nicht einen einzigen Ton von sich, der Bursche. Saß nur da, in eine Aura der Selbstgefälligkeit gehüllt. Die allgemeine Atmosphäre kam einer höflichen Drohung gleich: Wir hören dir zu. Und dann entscheiden wir so, wie wir es für richtig halten.
Mumm war nicht einmal sicher gewesen, wer von ihnen Frau Hammerhock war. Für ihn sahen alle Zwerge gleich aus. Als man ihm die Witwe vorstellte – mit Helm und Bart –, bekam er von ihr einige unverbindliche
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