Hell's Kitchen
daß er schon fast dreißig Minuten überfällig war. Also, dachte ich mir, führst du einfach die erforderlichen Festnahmen durch. Zuerst schnappte ich mir einen der Langfinger, der, wie sich herausstellte, die Brieftasche des ursprünglichen Trottels mit hundertfünfzig in bar, der besseren Sorte Kreditkarten, Schnappschüssen einer übergewichtigen Frau und zweier sommersprossiger Kids sowie zwei verschiedenfarbige Trojan -Pariser bei sich hatte. Als nächstes verhaftete ich Waldo und den Barkeeper.
Der Trottel, dessen Brieftasche ich gerettet hatte, fing an, mir auf die Nerven zu gehen, weil er nicht in diese Geschichte hineingezogen werden wollte. Also sagte ich, daß ich seine Brieftasche als Beweismittel sicherstellen müsse, was ich ungefähr einen Tag lang tun konnte, bis die Spurensicherung Zeit gehabt hatte, den Inhalt zu erfassen und zu fotografieren. Normalerweise gebe ich dem Opfer das Bargeld ganz oder doch wenigstens einen Teil davon zurück, damit er ohne größere Unannehmlichkeiten abziehen kann. Aber ich halte mich streng an die Vorschriften, wenn jemand anfängt, mir das Leben schwerzumachen. Daher rief ich in diesem Fall, und auf meine eigenen Kosten, seine Frau drüben in Jersey an und teilte ihr mit, sie solle ihn abholen kommen, da er gerade eben in einem Bumslokal ausgeraubt worden sei.
Anschließend verständigte ich das Revier und forderte uniformierte Verstärkung an, die meine Festnahmen übernehmen sollte, da ich immer noch darauf warten mußte, daß Buddy-O, mein Spitzel, endlich aufkreuzte.
Was er nie tat.
Das alles versuchte ich also ohne Hilfe der drei wichtigen Buchstaben zu Papier zu bringen, als mein Telefon klingelte.
»Hock, Neglio hier«, sagte mein Chef.
»Was haben Sie auf dem Herzen?«
»Das gleiche, was auch Sie schon in wenigen Jahren beschäftigen wird, wenn Sie erst darüber nachdenken, was Sie mit Ihrer Zeit anfangen sollen, nachdem Sie in Rente gegangen sind. Draußen am Sound einen Laden für Anglerbedarf aufmachen? Für irgendeinen Verlag die Memoiren schreiben? So was eben. Außerdem will ich Sie morgen sehen.«
»Um was geht’s?«
»Um eine heikle Sache«, sagte Neglio. »Kommen Sie einfach morgen früh Punkt neun in mein Büro.«
Zu den angenehmen Dingen, im Midtown-North stationiert zu sein, gehört, daß ich zu Fuß zur Arbeit gehen kann. Und das schönste daran, zu Fuß zwischen Wohnung und Arbeit zu pendeln, ist, daß ich am Ende eines Arbeitstages Zwischenstation in Angelo’s Ebb Tide auf der Ninth Avenue machen kann.
Es ist ein Laden, der sowohl schon bessere als auch schlechtere Zeiten gesehen hat und sich im Augenblick irgendwo dazwischen befindet.
Vor nicht mal einem Jahr hat kein Mensch irgendwas im Ebb Tide gegessen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Damals gab’s entweder etwas undefinierbar Fleischiges und Matschiges, das in einer Soße herumschwamm und aus der Warmhaltetheke kam, oder aber muffige Erdnüsse in Zellophantüten zu einem Bier vom Faß, das vierzig Cents kostete.
Noch vor ein paar Jahrzehnten wimmelte es am Bordstein von Packards und Lincolns und Frazer Manhattans, und die Besitzer dieser Wagen lieferten ihre Handfeuerwaffen am Eingang ab und betraten dann ein dunkelrot beleuchtetes Lokal mit jeder Menge schattiger Nischen. Die Gäste tranken französischen Wein und zwölf Jahre alten Scotch, aßen gut abgehangene Porterhouse-Steaks und rauchten anschließend dunkelbraune Macanudos aus dem vorrevolutionären Kuba. Als ich noch ein kleiner Junge war, gehörte Joey Adonis, der große West-Side-Gangster, zu den Stammgästen.
Heute erlebt der Laden gerade seine dritte Inkarnation.
Unmengen von Weinschorlen werden einer großen Zahl schöner Menschen serviert, die sich um das hintere Ende der Theke scharen und mit Plastikgeld zahlen. Das nach hinten hinaus gelegene Restaurant ist voller Gäste, die eine Menge Sachen bestellen, die von ihrer Lieblingsillustrierten als in deklariert worden sind. Wenn sie sich nicht gerade suchend umschauen, um zu sehen, wer noch da sein könnte, kreisen ihre Unterhaltungen um Fitneßstudios oder Therapien oder andere Restaurants. Mir ist aufgefallen, daß praktisch alle jüngeren Frauen Zigaretten rauchen, manchmal sogar zu ihrem Essen. Das liegt daran, weil sie es ganz schön weit gebracht haben, Baby.
Trotz des neuen Schickimicki-Pöbels gehe ich bis zum heutigen Tag ziemlich oft in Angelo’s Ebb Tide. Grund dafür ist Angelo Cifelli, beständiger Namensgeber und Barkeeper des Ebb
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