Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
dem Bruno sitzt und raucht. Sie sieht ihn an: Er sieht wirklich anders aus. Die dicke Brille ist weg, er hat eine ganz normale Brille im Gesicht und er hat sich seinen Bart gestutzt, also er hat immer noch einen Vollbart, aber einen kurzen. Und er hat einen Anzug an, einen schwarzen, wie ein Konfirmand.
Hendrikje steht am Tisch und die beiden sehen sich an. Bruno steht nicht auf. Hendrikje setzt sich zu ihm an den Tisch, ihm gegenüber, und die beiden sagen sich Guten Tag und lächeln sich zu, und er schiebt ihr die zusammengerollte Leinwand über den Tisch.
»Danke«, sagt Hendrikje und dann schweigen die beiden eine geraume, geraume Zeit lang. Genau wie früher, denkt Hendrikje, Bruno kriegt das Maul nicht auf. Sie hat ihm doch geschrieben, dass sie jemanden totgeschlagen hat, minderschwer, und er fragt nicht mal danach. Sie denkt lange nach, was sie sagen könnte, und dann fällt ihr endlich was ein und sie fragt ihn, ob er immer noch Museumsführungen macht, und er sagt: »Ja«, und nickt, und dann fragt sie ihn auch noch, ob er noch manchmal ins Café geht, und er schüttelt nur den Kopf. Es ist echt schwierig, mit Bruno ein Gespräch zu führen, Mutter Gottes. Er schweigt und er schweigt lange. Und dann will er doch was wissen. Ob sie hier im Gefängnis arbeiten kann. »Ja«, antwortet sie, »in der Küche. Sauber machen und so, kochen nicht.«
Und Bruno sagt: »Nee, das mein ich nicht. Ob sie dich malen lassen.«
»Sie würden mich lassen, aber ich hab keine Lust mehr. Hat sich nicht als besonders haltbar erwiesen, das Zeug.« Und dabei schaut sie auf die zusammengerollte Leinwand auf dem Tisch.
»Egal!«
»Ich hab ja hier auch gar nichts dabei«, sagt Hendrikje verlegen, denn ans Malen will sie nicht mal denken, sie hat schließlich zwei Seelen auf dem Gewissen. »Ach, weißt du, Bruno, ich hab auch andere Sorgen hier. Ich bin schließlich hier, weil ich zwei Seelen auf dem Gewissen habe, stell dir das mal nicht so leicht vor, damit zu leben.«
»Zwei?!«
»Juristisch einen, aber eigentlich zwei.«
Und Bruno staunt nicht schlecht und zieht fragend seine Augenbrauen hoch.
»Ja. Ich wollte mir das Leben nehmen und habe meinen damaligen ehemaligen Geliebten gebeten, das für mich zu erledigen. Er hat Gift besorgt, aber das hat jemand anders aus Versehen genommen und ist daran gestorben. Das war in der Nacht, bevor du mich am Bahnhof aufgelesen hast.«
Bruno schweigt eine Weile und fragt dann ungläubig: »Und dein ehemaliger Geliebter
wollte
das für dich erledigen?«
»Ja.«
»Kann das angehen, dass du ’ne Menge Sachen von anderen Leuten erledigen lässt?«
Hendrikje glotzt ihn an und wird scharlachrot. »Das kann angehen«, gibt sie leise zu.
Und da steht Bruno auch schon wieder auf, ganz langsam, klopft ein paar Mal mit seiner Zigarilloschachtel auf den Tisch, wie man auf Holz klopft, und nickt Hendrikje zu und schickt sich an zu gehen. Hendrikje sitzt da wie angenagelt, beschämt, ernüchtert und enttäuscht, enttäuscht, dass Bruno für sie den ganzen langen Weg hier ’raus nach Santa Fu gemacht hat und nun schon wieder geht, ehe die Besuchszeit abgelaufen ist. Sie steht auch auf und sieht, dass Bruno noch nicht weit weg von ihr ist, nur zwei, drei Schritte und da dreht er sich noch einmal um zu ihr. Er hat ein ganz verkniffenes Gesicht gekriegt, so, als würde er gleich etwas sagen, das Hendrikje auf einen Schlag vernichten wird, und er knubbert mit einer unzufriedenen Miene ein bisschen auf der Unterlippe herum, sagt dann aber doch nichts mehr.
Er nickt Hendrikje noch mal zu, dreht sich um und geht und steckt im Fortgehen seine Zigarilloschachtel in die Innentasche seines Anzugjacketts. Und Hendrikje schaut ihm lange nach und sieht, dass er schwarze Socken in seinen schwarzen Schuhen trägt, so ganz dünne, ganz edle Socken, und ihr wird flau im Magen, weil die Socken so schön aussehen. Und dann ist er weg.
Bruno ist weg. Eben war er noch da und jetzt ist er weg, Gott, ging das schnell, und Hendrikje kann ihm nicht hinterherlaufen.
Auf dem Tisch, an dem sie eben noch mit Bruno gesessen hat, liegt immer noch die Rolle Leinwand, und Hendrikje geht hin und entrollt sie und erkennt, dass Paula sich natürlich das pralle Segelschiff bei geballter Faust genommen hat, denn dieses hier ist jedenfalls das schlaffe Segelschiff bei herunterhängender Hand. Aber sei’s drum. Bruno war da. Aber jetzt ist er weg. Als Hendrikje in die nächste Stunde zu Frau Doktor Palmenberg kommt, trägt sie
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