Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
kann, gibt die Palmenberg ihr grünes Licht und sagt, dass sie den Brief auf jeden Fall so abschicken könnte, fragt dann aber doch noch, warum sie so offiziell und Distanz schaffend mit ihrem vollen Namen, mit
Hendrikje Schmidt
unterschrieben habe und nicht einfach mit
Hendrikje
.
Und Hendrikje erklärt es ihr: Sie kann ja schließlich nicht wissen, wie viele andere Hendrikjes Bruno noch kennt, und die Palmenberg stöhnt leise auf und sagt ohne große Überzeugung: ›Das leuchtet ein.‹
Es dauert sechs Wochen, bis eine Postkarte von Bruno als Antwort kommt. Auf der Vorderseite ist eine Fotografie des Hamburger Hafens, von den Landungsbrücken aus fotografiert. Auf der Rückseite steht:
Picasso! Das Schmuckkästchen habe ich nicht finden können, aber in einem der Räume hing ein Bild von einem Arm mit einem tätowierten Segelschiff mit der Aufschrift ›True Love‹. Hast Du das gemalt? Soll ich das retten? B.
P. S.: Hat das Mädchen gewusst, dass die Stalinisten seinen Vater erschießen würden?
Hendrikje zeigt der Palmenberg die Postkarte von Bruno: »Das Schmuckkästchen ist hin.«
»Hendrikje, das ist ein relativ kleiner Preis für das, was Sie gewonnen haben.«
»Ja, aber was sind das für Zeiten, wo ein Schmuckkästchen den Zweiten Weltkrieg übersteht, aber in der Friedensallee abhanden kommt …?«
»Darüber sollten Sie mal meditieren.«
»Ja, und wieso nennt Bruno mich Picasso? So hat nur Goebbels mich genannt, wenn sie mich ärgern wollte, also wenn sie mir klar machen wollte, dass ich eben nicht Picasso bin …?«
»Nun, Bruno hat diesen Spitznamen im Café am Tresen aufgeschnappt und erinnert Sie auf diese Weise an die dort gemeinsam verbrachte Zeit«, seufzt die Palmenberg.
»Ja, aber wieso schreibt Bruno hier von
einem
Bild mit
einem
Arm und
einem
Segelschiff, ich hatte doch
zwei
Arme und
zwei
Segelschiffe gemalt!?«
»Nun, wahrscheinlich ist Paula, die vor Ihnen, Ernst, Sophie und Lisa weggerannt war, noch einmal zurückgekommen und hat eins der beiden Bilder mitgenommen, als sie weiterzog. Sie sagten doch, dass Dieter
auch ihr
sein Segelschiff geschenkt hatte.«
»Ja, aber es kann doch nicht einfach jede Frau, der Dieter sein Segelschiff schenkt, meine Bilder klauen!«
»Hendrikje«, sagt die Palmenberg sehr ermüdet und mit schweren Lidern, die ihr langsam zufallen, »Ihre Empörung beruhigt mich sehr. Das ist ja endlich mal ein Anfang.«
Zurück auf Stube antwortet Hendrikje Bruno:
Lieber Bruno, ja, mach das bitte! Rette das Segelschiff!
Deine Hendrikje
PS: Nein, das wusste das Mädchen natürlich nicht, es war noch ein kleines Mädchen.
Und als eine Woche später Bruno schreibt:
Ahoi! Die ›True Love‹ ist gerettet! B.
da fragt Hendrikje an:
Lieber Bruno, könntest Du sie vorbeibringen? Picasso
Und so wird ein Antrag auf Genehmigung von Besuch einer nichtverwandtschaftlichen Person gestellt. Und als der bewilligt ist, besucht Bruno Hendrikje in der Frauenvollzugsanstalt.
Hendrikje hat ihre eigenen Sachen an, eine Jeans, die passt, einen Pulli, der passt, und Schuhe, die passen. Sie merkt, als sie zum von der Gefängnisleitung bestimmten Termin runter in den Besucherraum geht, dass sie schweißnasse Hände vor Aufregung hat. Und dass sie sich auf Bruno freut. Und sie denkt: Hendrikje, jetzt halt bloß den Ball flach. Es ist bloß der doofe Bruno, vergiss das nicht.
Sie schaut sich um in dem weiträumigen Besuchersaal, in dem an Einzeltischen Frauen sitzen, die Besuch von Männern und Kindern haben, und Männer, die allein an Tischen sitzen und noch auf ihre Frauen warten. Sie sieht keinen Bruno. Es ist ja auch schon wieder Februar, es ist ein Jahr her, dass sie Bruno zuletzt gesehen hat. Andererseits hat Bruno sich in all den Jahren, in denen er bei ihr am Tresen hockte, nie verändert, warum also sollte er sich jetzt bis zur Unkenntlichkeit … nee. Er ist nicht gekommen. Natürlich kommt er nicht um ein Segelschiff in den Knast zu bringen, der fühlt sich verarscht. Oder es ist ihm was dazwischengekommen, also die Aufseherin fragen gehen, ob er angerufen hat. Hendrikje geht zur Aufseherin und fragt, ob ihr Besuch vielleicht abgesagt hat. Die aber schüttelt freundlich den Kopf und schaut auf ihrer Liste nach und zeigt Hendrikje den Mann im schwarzen Anzug, der rauchend am anderen Ende des Saals am Fenster sitzt. Heilige Scheiße! Bruno ist schon da und sie trödelt hier mit der Aufseherin rum!
Hendrikje geht hin zu dem Tisch, an
Weitere Kostenlose Bücher