Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
wohnte damals noch in Schleswig-Holstein in einem Landhaus, das sie von ihren Eltern geerbt hatte, aber sie arbeitet in Hamburg als Rechtsanwältin, und um nicht jeden Tag hin-und herfahren zu müssen, hatte sie sich einen Dachboden in Hamburg gekauft und ließ den nun ausbauen. Naja, ich bin zu dieser Dachbodenbaustelle gefahren und da stand Lisa, schon in ihrer Robe, weil es ihr Gerichtstag war, und bei ihr stand Dieter. Ich hatte mein schönes rotes Rennrad geschultert und mit in den Loft gebracht, weil ich nicht wollte, dass es unten geklaut wird, und dieser Dieter war gleich ganz hingerissen von dem Rad und ich erlaubte ihm, damit rumzufahren, also nur oben auf dem Dachboden.«
»Hendrikje, lassen Sie mich hier kurz unterbrechen,« sagt Doktor Palmenberg, »als ich Ihnen sagte, dass hier in unseren Sitzungen alles erlaubt sei und Sie alles erzählen sollten, was Ihnen wichtig erscheint, da meinte ich natürlich schon die wesentlichen Dinge, die zu der Tat geführt haben. Sie sitzen hier, weil Sie – also gut, salopp gesagt – eineinhalb Menschen zu Tode gebracht haben, lassen Sie uns doch bitte bald zum Punkt kommen.«
»Oh, aber das führt alles zum Punkt, ich beschränke mich ja bereits aufs Wesentliche, ich erzähle Ihnen hier nur die wichtigen Dinge!«
»Gut, dann fahren Sie fort«, seufzt Doktor Palmenberg.
»Ich erzählte Lisa überglücklich, dass Rothwein mich ausstellt, und sie freute sich mit mir. Sie wusste, dass das auch viel Geld für mich bedeuten konnte, und dass ich das Geld auch dringend nötig hatte, denn was ich an drei Tagen pro Woche im Café verdiente, das reichte natürlich nie aus, ich muss ja auch Farben kaufen und die Ateliermiete bezahlen und ich kann schließlich nicht noch auf Omis Rente mitleben. Lisa stellte mich Dieter als eine begnadete Künstlerin vor und gab richtig an mit mir. Sie führte mich durch den Loft, der wirklich schrecklich aussah. Es waren bereits schöne Panoramafenster eingebaut und Toiletten und ein Badezimmer, aber keine Küche, und im Estrich gab es noch tiefe Schlaglöcher, die Wände waren unverputzt, es sollten zusätzliche Trennwände eingezogen werden … und dafür hatte Lisa Dieter engagiert.
Dieter war ein Mandant, den sie vor einer Gefängnisstrafe bewahrt hatte. Ihm waren 127 kleinere Aufknackereien von Zigarettenautomaten und Einbrüche in Kioske nachgewiesen worden, aber weil er nie in eine Wohnung eingebrochen war, hatte Lisa ihn auf Bewährung rausgekriegt. Sie hatte dem Richter versprochen, auf seine Resozialisierung in der Arbeitswelt ein persönliches Auge zu werfen. Und das tat sie: Dieter sollte das Loft zu Ende bauen, und dafür durfte er sogar dort wohnen. Sie hatte ihm ein Feldbett organisiert und einen Tauchsieder, und Dieter sagte, das wär allemal besser als Knast.
Und nun, als Lisa hörte, dass ich bei Rothwein ausstellen würde, da hatte sie auch gleich einen Job für mich. Ich sollte ihre Wände in dieser Wischtechnik bemalen, wie man das jetzt so hat. Ich freute mich und sagte zu, Job ist Job. Dann musste Lisa schnell zum Gericht und sagte, ich sollte die Details schon mal mit Dieter besprechen, also dass er die Wände dann auch gleich mit dem richtigen Putz verputzt, der sich am besten für die Wischtechnik eignet und so.
Dann war sie weg und Dieter justierte die Gangschaltung an meinem schönen roten Rennrad neu, was ich schrecklich nett von ihm fand. Er sah ziemlich hübsch aus, er hatte schwarze lange Locken und stahlblaue Augen und einen muskulösen Körper. Also nicht, dass ich auf männliche Models stehe, aber Dieter war eine Augenweide. Er trug ein ärmelloses T-Shirt und deshalb konnte ich sein Segelschiff sehen. Er hat auf dem linken Oberarm ein Schiff mit acht Segeln tätowiert, und das fand ich wahnsinnig sexy. Ich war geradezu erschüttert und musste andauernd auf dieses tätowierte Segelschiff starren, das sogar einen tätowierten Namen hatte:
True Love
stand auf so einem geschwungenen Band auf dem Rumpf. Tolle Arbeit, ganz sauber und filigran. Und ehe ich gucken konnte, da gibt mir Dieter mein schönes rotes Rennrad frisch justiert zurück. Er hatte noch etwas Schmieröl an den Fingern, und plötzlich lächelten wir uns an. Ich merkte, wie ich rot wurde, mir wurde ganz heiß, und Dieter grinste und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, weswegen ich jetzt ein bisschen Schmieröl an der Backe hatte. Da hab ich aber gemacht, dass ich wegkam, denn ich bin schließlich mit Ernst zusammen, und lasse nichts
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