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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Purschke
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mich ins Bett. Ich habe auch tatsächlich geschlafen, tief und fest.
    Am nächsten Morgen habe ich den Arzt angerufen. Der kam und stellte den Totenschein aus. Er schimpfte, dass ich so lange gewartet hätte, das dürfte man gar nicht, aber er wollte bei einer 9 2-jährigen mal nicht so sein. Dann kam der Bestatter.
Ich habe ihm gesagt, dass wir kein Geld haben, die Omi und ich, und dass es nicht teuer werden darf. Der Bestatter sagte, das billigste ist eine anonyme Beerdigung. Die Leiche wird verbrannt, keine Grabrede, kein Pfarrer, 2000 Euro. Alles andere, also Sarg, Blumenschmuck, Pfarrer und so fängt bei 4000 an. Naja, ich wollte jetzt echt nicht anfangen, geizig zu werden und ich dachte ja, ab März bin ich ein reiches Mädchen. Der Bestatter war mit Ratenzahlung einverstanden, und also habe ich der Omi ein ordentliches Begräbnis spendiert. Ich dachte noch: Ich kriege ganz easy einen Überziehungskredit, wenn die bei der Sparkasse hören, dass ich bei Rothwein ausstelle …
easy-beasy
.
    Dann war der Bestatter weg mit der Omi, die hat er gleich mitgenommen. Dann habe ich mir die Reste der Gans warm gemacht und die Gans aufgegessen, und dann bin ich mit dem Rad ins Atelier gefahren. Und wie ich auf den Hof komme, da ist der ganze linke Flügel des Gebäudes abgebrannt. Genau da, wo mein Atelier war. Es stakten nur noch so die verbrannten Grundmauern aus dem Boden … und ich hörte die Stimme meiner Omi, sie war also doch noch nicht abgereist.«
    »Was hat die Stimme Ihrer Omi denn gesagt?«
    »
Dresden ’45! Dresden ’45!
Das hat sie immer gesagt, wenn sie was besonders furchtbar fand. ›Dresden ’45!‹ wenn ihr offenes Bein sie gequält hat, ›Dresden ’45!‹, als die Briefe an meine Mutter aus Amerika zurückkamen. Ich bin auf die Reste meines Ateliers zugegangen, und ich sah, dass ganz professionell gelöscht worden war, die Feuerwehr musste in der Nacht noch da gewesen sein. Vier Atelierräume gab es auf der linken Seite, und drei davon waren abgebrannt, meins war das in der Mitte. Ich wollte das zuerst gar nicht glauben, was ich da sah, ich dachte, ich hätte mich im Hof geirrt, oder in der Straße, oder in der Stadt. Aber nein, ich war ganz richtig hier. Ich konnte sogar noch die Reste von Bildern von mir erkennen, völlig verkohlte Reste, mit geschmolzener, zerlaufener Farbe. Also, die Arbeit von fünf Jahren war verbrannt, womit klar war, dass ich mir die Ausstellung im März bei Rothwein von der Backe wischen konnte. Und das war nur die Hälfte des Schreckens, die andere Hälfte war schlimmer und fühlte sich an wie ein Fußtritt ins Herz: War Paula etwa hier … in den Flammen? Was war ihr passiert? Ich weiß noch, dass ich mich vor lauter Angst plötzlich erbrach, ich hielt mich an einem halb abgebrannten Mäuerchen fest und gab die ehemalige Gans vor mein ehemaliges Atelier.«
Doktor Palmenberg guckt Hendrikje fast ungläubig an. »Das ist wirklich … stark. Das ist … ja … ein … außergewöhnlicher Fall von … Schicksal.«
    »Das meinen Sie doch nicht im Ernst«, sagt Hendrikje knochentrocken.
    »Sie fühlen sich von meinem Mitgefühl verhöhnt?«
    »Nein! Nein, nur: Es ist kein Schicksal, begreifen Sie das nicht? Es ist ein klassischer Fall von
Machsal
, was denken Sie denn, warum ich hier bin und andere Hungerkünstler nicht?!« Hendrikje wird lauter. »Andere Leute haben auch Schicksal und landen deswegen noch lange nicht im Knast! Und Sie sollen mich nicht bemitleiden, sondern mir sagen, was ich falsch gemacht habe!«
    »Ich denke, das wissen Sie doch selber sehr gut: Vorhin haben Sie sich Halbherzigkeit vorgeworfen …!«, sagt Doktor Palmenberg, die Hendrikjes plötzliche Aggressivität wütend macht. »Endlich haben Sie sturmfreie Bude und da gönnen Sie Paula die Reste der Gans nicht!«
    »Also das finde ich jetzt wirklich gemein von Ihnen, ich glaube, Sie missverstehen mich mit Absicht! Die Gans nicht gegönnt! Ich habe auf meine Großmutter Rücksicht genommen!«
»Nun, wenn Sie sich selbst belügen wollen, dem steht nichts im Wege, nur zu, aber dann sitzen wir in hundert Jahren noch hier.«
    »So lang ist meine Strafe nicht.«
    »Nein, aber von unserem Therapieerfolg hier hängt die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung für Sie ab!«
    Hendrikje bebt vor Wut, weil sie sich unverstanden fühlt. Sie zwingt sich zu schweigen. Doktor Palmenberg fährt so ungerührt wie ruhig fort: »Was Sie wollen, ist, Vorwürfe von mir hören, Sie wollen, dass ich sage: ›Ja liebe

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