Hendrikje, vorübergehend erschossen
ich ihn herlocken wollte mit
seinen Klamotten, er ist ja nicht doof, der Bruno, er hat zwischen den Zeilen gelesen: Du, komm doch mal raus nach Fuhlsbüttel,
ich hab dann auch was Schönes für dich. Und das stinkt ihm. Es stinkt ihm, dass ich nicht rausrücke mit der Wahrheit, dass
ich nicht schreibe, ach Mensch, Bruno, ich wünsch mir so Besuch von Dir. Aber soll ich ihm jetzt schreiben:
Ach Mensch, Bruno, ich wünsch mir so Besuch
von Dir?
Ich bin doch nicht besoffen. Nie im Leben würd ich so was schreiben, noch schöner. Damit nie wieder eine Antwort von Bruno
kommt, dann erst recht nicht, der bildet sich noch was ein, und, Hendrikje, denkt sich Hendrikje, halt den Ball flach, es
ist doch nur der doofe Bruno. Der Haken |179| an der Sache ist nur, dass Bruno so doof gar nicht ist. Mist.
Aber dass er das gemerkt hat, dass das alles nur ein Vorwand war mit den Klamotten und dass ich nicht mit der eigentlichen
Wahrheit rausgerückt bin, würde das die Palmenberg sagen? Nee, würde sie nicht. Die Palmenberg würde sagen: Hendrikje, Bruno
möchte
Sie nicht besuchen.
Und dann wäre die nächste Gelegenheit, Kontakt zu Bruno aufzunehmen, in 14 Monaten mit Zwei-Drittel-Glück und ohne Glück in
28.
Nee. Die Palmenberg soll doch sagen, was sie will. Ich sage, denkt Hendrikje, er lässt mich zappeln. Er will unter keinem
Vorwand hergelockt werden. Er will die Wahrheit hören.
Ach Mensch, Bruno,
schreibt Hendrikje unter Zornestränen,
ich wünsch mir so Besuch von Dir.
Hendrikje
Eine Woche später erhält Hendrikje eine Postkarte mit einem Elefanten bei Hagenbeck vorne drauf:
Ja, Hendrikje, dann musst Du noch mal so einen Antrag
stellen.
Gruß, B.
Und sie heult sich die Augen aus vor Glück und hält es aus, keinem was zu sagen.
Hendrikje ist vom Küchendienst befreit, denn sie hat jetzt bezahlte Arbeit in der hauseigenen Buchbinderei, weil ein Platz
frei geworden ist, und so hat sie ein bisschen Taschengeld zur Verfügung. Das ist viel schöner als Geschirrspülmaschinen |180| ausräumen: Bücher binden, die kann man anfassen, ohne sich die Pfoten zu verbrennen, und wenn man auch nur die erste Seite
liest: steht jedesmal was anderes drin und es riecht so schön nach Leim.
Im Mai bekommt Hendrikje Besuch von Bruno. Diesmal ist sie zuerst da und wartet am selben Tisch am Fenster auf ihn, und als
er kommt, da steht sie auf. Sie begrüßen sich, aber sie geben sich nicht die Hand, sie stehen halt so herum, bis Hendrikje
zum Kaffeeautomaten im Saal geht und für Bruno einen Espresso und für sich einen Cappuccino zieht. Und dann sitzen sie da
am Fenster und plaudern über den Frühling, der die Stadt befällt, und Bruno erzählt, dass er von einer Reisegruppe geheuert
wurde, um die durch den Louvre in Paris zu führen, denn da wäre ja die schöne Matisse-Ausstellung.
Im Mai nach Paris zu Matisse, denkt Hendrikje und hat einen Kloß im Hals. Und sie will schon wieder was von ihm, er soll ihr
noch einen Gefallen tun und keinen kleinen, also jetzt bloß nicht um den heißen Brei rumreden, so was merkt er ja gleich und
er mag so was nicht …
Und er würde mit der Reisegruppe, freut sich Bruno, bei Nacht eine Dampferfahrt auf der Seine machen und dabei ein Candle-Light-Dinner
einnehmen, das haben die im Programm und das macht er mit. Heilige Scheiße, denkt Hendrikje, ein Candle-Light-Dinner auf der
Seine bei Nacht, hoffentlich ist das wirklich nur ’ne Reisegruppe und keine langbeinige Blondine, mit der er nach Paris fährt
… Wie fragt sie ihn jetzt aber am besten, ohne dass er gleich wieder empfindlich wird …?
Und dann hätte er ’ne Karte für eine Tanzperformance von Pina Bausch, sagt Bruno und zündet sich einen Zigarillo an.
|181| »Ich brauche Farben«, sagt Hendrikje entschlossen, und Bruno pustet den Rauch seines ersten, tiefen Zuges auf die Glut seines
Zigarillos und nickt. »Natürlich brauchst du die.«
»Ich habe außer dir keinen, den ich fragen kann, aber selbst wenn, dann würde ich trotzdem dich am liebsten fragen, denn du
als Kunstführer bist da vielleicht ein bisschen verständiger …«
Bruno nickt.
»Ich verdiene hier etwas Geld in der Buchbinderei, aber nicht genug. Ich müsste dich also anpumpen.«
Bruno nickt, nur etwas langsamer als vorher. »Und mit Farben allein ist es ja wahrscheinlich nicht getan.«
»Genau. Ich brauche auch Leinwand, Hölzer zum Aufziehen, Pinsel und Terpentin.« Hendrikje lächelt ihn an.
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