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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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HANS HERBERT WIESE
    WIR SIND NICHT
    ALLEIN
    DER GUTE TON 1950
    EIN HEITERER SPAZIERGANG IM LANDE
    DER GUTEN MANIEREN UND DES TAKTES
    MINERVA-VERLAG / SAARBRÜCKEN
    Umschlagentwurf Fritz L. Schmidt
    VORWORT.
    WIR SIND NICHT ALLEIN
    Jetzt weiss ich auch, dass man in der Welt
    sich mit allem befassen kann, wenn man nur
    die dazu nötigen Handschuhe anzieht.
    Heinrich Heine

    Wir sind nicht allein.
    Wir waren es nie so wenig.
    Die wenigen Inseln, denen es gelungen war, bis heute unbewohnt zu
    bleiben, mussten ihr vergessenes Paradies den neuesten Versuchen der
    Atombombe opfern.
    Entfernungen existieren nicht mehr. Die Einsamkeit — selbst zu
    zweien — ist ein Mythos geworden oder, gleich dem Frieden, ein
    hoffnungsloses Ideal.
    Wir müssen uns damit abfinden, nicht mehr allein zu sein: wir haben
    jene Wüsten nicht zu unserer Verfügung, in die der »Menschenfeind«
    von Moliere sich zurückzuziehen versprach; wir müssen darauf
    verzichten, seinem bedenklichen Beispiel zu folgen.
    Lernen wir die Anderen zu ertragen, oder besser:
    sie hinzunehmen — noch besser aber lernen wir die unzähligen Reize
    und Freuden zu entdecken, die die Gesellschaft Anderer uns zu
    bringen vermag, selbst wenn sie im ersten Augenblick unerwünscht
    oder gar unerträglich scheint.
    Dieses kleine Buch hat kein anderes Ziel, als Sie in die zahllosen
    Genüsse einzuweihen, die das gesellschaftliche Leben Menschen mit
    Herz und Geist bietet, wenn sie sich entschieden haben, die Gesetze
    der Höflichkeit zu achten. Sie werden bald einsehen, dass die Regeln
    des guten Tons nicht allein erfunden wurden, um den Anderen — und
    besonders denen, die wir nicht mögen, vielleicht sogar hassen — das
    Recht zu geben, ungestraft über unsere Zeit, unsere Wohnung, unsere
    Kinder, unsere Frau, unser Geld zu verfügen und sich für eine Zeit, die
    uns eine Ewigkeit dünkt, dies alles anzueignen. Auch wurden die
    guten Sitten nicht nur im Interesse der lästigen und unerzogenen
    Menschen erdacht, um uns ihnen gegenüber ohne Verteidigung zu
    lassen. Bei diesem Spiel, wie bei allen Spielen, kann man gewinnen,
    auch wenn man die Regeln achtet.
    Aber Höflichkeit ist eine nicht immer leichte Kunst. Sie verlangt,
    besonders am Anfang, dass man auf die Bequemlichkeit und ihre
    Versuchungen verzichtet. Sie verlangt mehr als gerade nur die
    Kenntnis einiger sehr dehnbarer Regeln, die wir für Sie gesammelt
    haben. Es gibt Tänzer und Musiker, die trotz einer unfehlbaren Technik
    niemals in die letzten Geheimnisse ihrer Kunst eindringen. Sie bleiben
    immer nur gutlaufende Maschinen, die man weder tadeln noch
    bewundern kann. Ebenso wenden viele Menschen beinahe fehlerlos die
    Regeln der Lebenskunst an, ohne dennoch die Bezeichnung »Dame«

    oder »Gentleman« zu verdienen.
    Es gibt keine wahre Höflichkeit ohne Herz und Geist. Beide sind
    wichtiger als eine gute Kenntnis der Gesetze des guten Tons. Sie sind
    nicht Vorrecht einer Gesellschaftsklasse; Menschen einfacher Herkunft
    zeigen häufig mehr Takt und Fingerspitzengefühl in ihren Manieren
    und Worten als solche, die es zu hohen und beneideten Stellungen
    gebracht haben, dabei aber als vollendetes Beispiel unerträglicher
    Unhöflichkeit gelten dürfen.
    Herz und Geist könnten vielleicht genügen, wenn nicht die
    Höflichkeit des 20. Jahrhunderts einige Gewohnheiten aus heldischen
    Zeiten geerbt hätte, die die Vernunft allein nicht mehr erklären kann.
    Es wäre heute nicht unhöflich, eine behandschuhte Hand zu geben,
    wenn man zu Zeiten der Borgia nicht den tötenden Handschuh
    gekannt hätte. Man tränkte damals seinen Handschuh in Gift und
    reichte freimütig seinem Feind zum Gruss die Hand. Durch die
    Berührung mit diesem vergifteten Handschuh wurden alle
    Gegenstände, ja selbst Speisen vergiftet. Wer einen solch' kräftigen,
    offenen Händedruck empfing, starb bald darauf — und ganz diskret.
    Wenn das Italien der Renaissance diese schnelle Art des Mordens nicht
    gekannt hätte, würde der gute Ton von heute nicht vorschreiben, den
    Handschuh vor dem Händedruck abzustreifen.
    Doch selbst wenn wir von diesen unlogischen Sitten absehen, haben
    wir weder die Zeit noch die Müsse, alle diese Regeln des guten Tons
    für uns allein neu zu entdecken. Es ist uns nicht möglich, die
    Abenteuer von Robinson Crusoe nachzuerleben, der von sich aus die
    Gesetze und die Errungenschaften der Zivilisation gleichsam wieder
    erfand. Dieses kleine Buch ist dazu geschaffen, Ihnen solche
    Anstrengungen zu ersparen,

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