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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Hendrikje am nächsten Tag in der Stunde zur Palmenberg, und entfaltet die Sugar-Brown-Kolumne
     von vorgestern.
    »Aber gern!«, antwortet die Palmenberg die sich auf die Sugar-Brown-Kolumne freut.
    Hendrikje liest vor:
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Wo wären Sie lieber? Auf ’ner Yacht im Mittelmeer
mit einem Kasten kalter Cola in
Reichweite oder in schweren Eisenketten zur
Zwangsarbeit im Steinbruch angeschmiedet?
Auf ’ner Yacht, wo drei Geishas in transparenten
Saris Ihnen den Rücken eincremen,
kühlen Wind zufächeln und Ihnen die Füße
kraulen oder mit Hammer und Pickel bewaffnet
bei vierzig Grad im Schatten an einem
schönen Platz in der Sonne beim Steinekloppen
? Wollen Sie sich lieber über Ihren Leibkoch
ärgern, weil der schon wieder vergessen
hat, Eis unter die Kaviarperlmuttschale zu
legen, oder froh sein, wenn der Aufseher zu
Feierabend die Bleinäpfe mit den Heringsköpfen
verteilt?
    Keine einfache Frage, ich weiß, ’s is unterschiedlich
, das kann man so nicht sagen.
Kommt halt immer drauf an, was Sie gerade
mögen. Wenn Sie sich einfach nur erholen
möchten, dann rate ich Ihnen zur Yacht. Falls
Sie aber Muße haben, Ihre persönliche Freiheit
mal zu erproben, dann sind Sie besser im
Steinbruch aufgehoben, denn wo sonst hätten
Sie Gelegenheit, sich zu fragen, ob Sie sein
möchten, was Sie sind? Sie wären ein Sklave
und wären es wahrscheinlich nicht gern. Das
ist ein hervorragender Ausgangspunkt, um
sich zu überlegen, ob man nicht vielleicht
lieber was anderes wäre. Vielleicht ein Selbstmörder
, der die Quälerei auf diese Weise beendet
? Vielleicht ein Flüchtling, der lieber riskiert
, auf der Flucht von hinten erschossen zu
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werden? Oder vielleicht der leidenschaftliche
Wortführer der konspirativen Widerstandsgruppe
mit dem Geheimcode
Raus aus’m Bruch
? Das sind bereits drei Möglichkeiten,
die Ihnen auf der Yacht nicht eingefallen wären
. Und damit haben Sie auch schon die Freiheit
der Wahl, und damit klebt Ihnen bereits
die Pflicht zur Wahl an der Backe. Oh! Sie
haben sogar noch eine vierte Möglichkeit, Sie
können nämlich auch bleiben, wer Sie sind,
geht auch. Dann sind Sie Opfer der Umstände
geworden, aber das macht sich unsexy im
Nachruf.
    Nun, selbst wenn Ihr ganz persönlicher
Steinbruch, geneigter Leser, nur ein Innenstadtbüro
ist und Ihre Gehaltsabrechnung
Ihnen jeden Monat ein Lächeln ins Gesicht
zaubert, so müssen Sie sich doch entscheiden,
ob Sie allein oder zu zweit Liebe machen
wollen, ob Sie schön oder hässlich, gut oder
schlimm, groß oder klein, dick oder dünn,
schlau oder doof, ja sogar, ob Sie glücklich
oder unglücklich sein wollen. Denken Sie bloß
nicht, ein Schicksal hätte Ihnen Ihr Schicksal
aufgezwungen, denn Ihr Schicksal sind immer
nur Sie und was Sie entscheiden zu sein.
    Wenn also Sie, lieber Leser, gern fies und
hässlich, klein und einsam, dick und doof und
unglücklich sein wollen, wünsche ich Ihnen
aufrichtig viel Freude dabei, vorausgesetzt, Sie
sind mit Absicht so und nicht aus Versehen.
Wir haben eine Pflicht zur Freiheit, falls wir
die werden wollen, die wir sind, und da kommen
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wir nicht weit mit einem Kasten kalter
Cola.
    Nur: sauber bleiben tun wir dabei nicht. Denn wenn wir uns heute für das Schöne entscheiden
, dann steht morgen das Hässliche da
und greint, weil es allein übrig bleibt. So ist
das im Leben, beides zusammen geht nicht,
kannste nix machen.
    Ihr von den schlimmsten Zahnschmerzen
der Welt – und was das bedeutet, das wissen
Sie ja – geplagter
    Sugar Brown
    »Ich wusste sofort, was das bedeutet!«, ruft Hendrikje erregt aus, so dass die Palmenberg aus der Besinnlichkeit aufschreckt,
     in die sie Sugar Browns Kolumne versetzt hat. »Ich wusste, wenn Sugar Brown schreibt, dass er Zahnschmerzen hat, dann bedeutet
     das, dass er keinen Liebeskummer mehr hat! Erinnern Sie sich? Er hatte doch in einer anderen Kolumne geschrieben, dass er
     lieber Zahnschmerzen hätte als Liebeskummer, und nun hat er Zahnschmerzen und das kann doch nur heißen, dass er erlöst ist,
     befreit von seinem Liebeskummer! Erinnern Sie sich?!«
    »Ja, Hendrikje, ich erinnere mich«, seufzt die Palmenberg und fügt nur aus höchster Erschöpfung über den gnadenlosen Unverstand
     ihrer Patientin gedehnt hinzu: »Und was bedeutet Ihnen das, dass Sugar Brown so ganz offensichtlich keinen Liebeskummer mehr
     hat?«
    »Na ja«, sagt Hendrikje, »am Anfang hab ich mich gefreut, ich dachte, Mensch, das ist aber schön, Sugar Brown hat keinen Liebeskummer
    

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