Henkersmahl
saß und seine spärlichen grauen Haare knapp bedeckte. Aber die zwei älteren Frauen, die einige Meter vor ihnen gingen, hatten sich nicht einmal umgeblickt. Etwas ruhiger sagte er nun: »Also noch einmal, was hast du dir dabei gedacht?«
Tim sah seinen Vater trotzig an und antwortete ausweichend: »Eine ganze Menge. Euer Zeug ist giftig, Mensch, kapier das doch endlich! Einige, die zu viel davon intus haben, liegen jetzt im Krankenhaus. Ein Typ ist wahrscheinlich sogar daran gestorben.«
»Deine Behauptung ist ungeheuerlich!« Burkhard Weidner verspürte den unmittelbaren Wunsch, sich zu setzen, aber die Parkbank, die er am Wegrand bemerkte, schien ihm meilenweit entfernt zu sein. Wortlos ging er neben seinem Sohn her, den Schritt unter der Schwere des soeben Gehörten unwillkürlich verlangsamend. Nachdem er sich wieder etwas gefasst hatte, sagte er: »Selbst wenn du recht hast, ist das immer noch kein Grund, eine TV-Sendung verhindern zu wollen, indem du Redakteure einschüchterst.«
»Doch, es gibt Grund genug.« Tim sah seinen Vater von der Seite an, senkte den Blick jedoch sofort wieder und fuhr kleinlaut fort: »Ich habe es jemandem verkauft, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Wenn der herausfindet, dass man daran krepieren kann, werde ich auch nicht mehr lange leben.«
»Du meine Güte.« Burkhard Weidner brach der Schweiß aus und Tim erklärte: »Ein Redakteur von Diens-Talk verfolgt eine Spur, die direkt zu euch führt. Er scheint aber der Einzige zu sein, der davon weiß. Wenn ich den in seinen Recherchen stoppen kann, kommt vielleicht nie heraus, dass dieses dämliche Zeug an allem Schuld ist und Alex lässt mich in Ruhe. Und du hättest Zeit genug, alles, was existiert, zu vernichten und könntest damit eventuell Schlimmeres verhindern.«
Zielstrebig steuerte Burkhard Weidner die Parkbank an, die nun unmittelbar vor ihnen stand, und setzte sich schwerfällig. Tim nahm neben ihm Platz. Der Blick des Vaters wanderte zur Deutzer Brücke, die ihre Farbe wie vier weitere Brücken Konrad Adenauer zu verdanken hatte. Extra auf seinen Wunsch hin war das spezielle Patinagrün entwickelt worden, und es sah wirklich gut aus. Burkhard Weidner atmete tief durch. Am liebsten hätte er das Gespräch mit seinem Sohn jetzt nicht geführt. Wie gern würde er stattdessen unbeschwert über die Hohenzollernbrücke oder über die Südbrücke schlendern und die sogenannten Liebesschlösser in Augenschein nehmen, von denen er in der Zeitung gelesen hatte. Seit einiger Zeit hingen Tausende bunter Vorhängeschlösser am Zaun zwischen Bahngleisen und Fußgängerweg, und täglich wurden es mehr. Verliebte Paare schworen sich auf ihnen ewige Liebe, den Schlüssel für das Schloss warfen sie in den Rhein. Burkhard Weidner fand diesen neuen Brauch so sympathisch, dass er sich vornahm, die Schlösser unbedingt bei seinem nächsten Kölnbesuch anzusehen.
Seufzend wandte er sich seinem Sohn zu und sagte: »Also, du hast davon an diesen Bandenchef verkauft. Wem noch, und wo?«
»Das meiste auf dem Nippeser Wochenmarkt am Wilhelmplatz. Und dann hat so ein Schreiner ein bisschen was gekriegt und eben Alex. Vor allem Alex.«
»Was hast du mit dem überhaupt zu schaffen? Junge, du hattest doch schon genug Ärger mit der Polizei! Willst du dein Schicksal unbedingt herausfordern, indem du dich mit diesem kriminellen Typen einlässt?«
Burkhard Weidner war inzwischen auf alles gefasst, und Tims Schweigen war Antwort genug. Er stöhnte leise und fragte sich, was er eigentlich von seinem Sohn erwartet hatte. Wenn Tim nur ahnen würde, was er ihm antat. In diesem Moment hasste er ihn mit jeder Faser, aber als er Tim kleinlaut sagen hörte: »Ich habe Schiss vor Alex, begreif das doch endlich«, mischte sich unwiderruflich das altbekannte Gefühl der Sorge unter den Groll und gewann schließlich, obwohl er sich dagegen sträubte, die Oberhand.
»Wenn Alex merkt, dass das Zeug nicht koscher ist, dann gnade mir Gott. Der fackelt nicht lange.«
Gedankenversunken betrachtete Burkhard Weidner einige Spatzen, die sich begeistert um trockene Brotkrümel scharten und eifrig darauf erpicht waren, keinen einzigen außer Acht zu lassen. Schließlich sagte er: »Überlass die Angelegenheit bitte mir. Da ist sie besser aufgehoben, und vor allem lass diesen Redakteur in Ruhe.« Mühsam erhob er sich von der Parkbank, stopfte den Schal tiefer in den Ausschnitt seines Mantels und setzte den Weg fort. Tim folgte ihm wortlos. Nachdem sie eine Weile
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