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Henkersmahl

Henkersmahl

Titel: Henkersmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bärbel Böcker
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die Stufen der Holztreppe nahm, um dann die Tür zu seinem Zimmer aufzureißen und sich streng nach dem Stand der Hausaufgaben zu erkundigen. Sie hielt es nie für nötig anzuklopfen, und kaum war sie im Raum, hatte sie auch schon sein Heft in ihrer kleinen, fordernden Hand. Ärger gab es vor allem, wenn die Seiten noch blütenweiß waren. Anstatt seine Arbeit zu erledigen, hatte Florian sich mit Comics, später mit dem Playboy vergnügt. Umso mehr fühlte er sich gestört, wenn Anna ihn in solchen Momenten gnadenlos in die Wirklichkeit zurückholte. Bis heute, und Florian war mittlerweile 36 Jahre alt, stieg in ihm ein Gefühl des Grolls auf, wenn ihn jemand unvermittelt aus seinen Gedanken riss oder gar kontrollieren wollte.
    »Die Fahrkarten, bitte.«
    Die Stimme des Mannes, der sich schwerfällig durch den mit Menschen verstopften Gang der Bahnlinie 15 bewegte, ließ Florian innerlich fluchen. Kontrolleure waren eine Spezies von Mensch, die ihm Gänsehaut verursachten. Erst recht an einem Montagmorgen. Außerdem hatte er sich bereits darauf eingestellt, einen ungestörten Blick in die Zeitung werfen zu können, bevor er an der Haltestelle Christophstraße in der Kölner Innenstadt aussteigen musste. Daraus würde nun nichts werden, denn der Kontrolleur würde jeden Moment vor ihm stehen und seinen Fahrschein verlangen. Trotzdem schlug Florian rasch die Zeitung auf, die Schlagzeile Mysteriöse Erkrankung – bereits 30 Fälle in Köln, hatte ihn neugierig gemacht. In dem dazugehörigen Artikel hieß es, dass es immer noch keine Erklärung für die Serie von Krankheitsfällen gäbe, die Köln seit zwei Wochen in Atem hielten – und ihn selbst auch.
    Florian blickte auf. Er dachte an die Recherchen in seiner Talkshow-Redaktion, die auf Hochtouren liefen. Er und seine Kollegen wussten bislang nicht viel, planten aber morgen eine Sendung zum Thema und er konnte sich nach wie vor nicht vorstellen, wie sie überhaupt aussehen sollte.
    Mit halbem Auge registrierte er, wie der Kontrolleur näher kam und dachte daran, dass er unbedingt zwei von der Krankheit betroffene Talkgäste finden musste, die bereit waren, ins Studio zu kommen. Alle Opfer hatten heftigen Schwindel verspürt, fünf von ihnen waren sogar ins Koma gefallen. Die Behörden tappten im Dunkeln. Niemand wusste, wodurch die Symptome ausgelöst wurden, aber langsam machte sich Panik in der Bevölkerung breit.
    Florian Halstaff richtete seine Beine schräg Richtung Gang aus, um es ein wenig komfortabler zu haben. Mit einer Größe von knapp zwei Metern war er für jede Möglichkeit, einen Zentimeter mehr Raum zu ergattern, dankbar. Außerdem saß der Bund seiner schwarzen Jeans auf diese Weise etwas lockerer und schnitt nicht mehr so tief ins Fleisch.
    Die metallisch klingenden Fahrgeräusche, die beim Drosseln der Geschwindigkeit entstehen, wurden übertönt von der Stimme des Kontrolleurs, der immer weiter in Florians Nähe rückte. Gerade herrschte er einen verlebt aussehenden Mittvierziger an, der letzte Nacht offensichtlich zu wenig Schlaf bekommen hatte, denn dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab.
    »Nun mal her mit dem Fahrschein.« Der Kontrolleur, ein untersetzter Mann mit Halbglatze, stellte sich dem Fahrgast breitbeinig in den Weg.
    Florian hob unwillkürlich den Kopf. Er sah, wie sich die Gesichtszüge des Mittvierzigers anspannten und wie seine Augen die des Kontrolleurs suchten. Zwei Sekunden hielt er ihrem Blick stand, dann schlug er seine Augen nieder und reichte dem Kontrolleur wortlos das Ticket, das er bereits in der Hand gehalten hatte.
    Merkwürdig, dachte Florian und lehnte sich wieder in den Sitz zurück, dass sich so viele Menschen jeder Form von Autorität, ganz gleich, wie gering sie auch sein mag, unterordnen und bereit sind, selbst Schikanen widerspruchslos hinzunehmen. Ihm ging das Bild eines auf dem Boden liegenden Hundes durch den Kopf, der seinem überlegenen Feind die Kehle hinhielt. Florian schüttelte sich unwillkürlich. Die Bahn ruckte und verlangsamte die Geschwindigkeit. Eine freundliche Frauenstimme aus dem Lautsprecher tönte melodisch durch das Abteil. »Nächster Halt – Barbarossaplatz.«
    Florian schloss den obersten Knopf seines hellen Trenchcoats und schlug den Kragen hoch. Eine weitere Station konnte er sitzen bleiben, aber schon gleich würde er im Strom unzähliger Menschen treiben, die wie er auf ihrem Weg zur Arbeit durch Bahnstationen hasteten, um den nächsten Zug nicht zu verpassen und

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