Hennessy 02 - Rätselhafte Umarmung
sie wies mich ab«, sang Bryan, der wie ein wandernder Troubadour hinter Rachel und Faith Callan herschlenderte.
Sie arbeiteten sich systematisch durch die unzähligen Zimmer in Drake House und erstellten ein Inventar. Faith, die sich mit Antiquitäten auskannte, identifizierte jedes Stück, dann schlug Rachel in einem Händlerkatalog nach, und gemeinsam versuchten sie, den Marktwert festzulegen. Bryan hielt sich im Hintergrund und notierte ihre Funde in einem Verzeichnis. Addie folgte ihnen von Zimmer zu Zimmer, postierte sich jeweils an einer strategisch günstigen Stelle und starrte sie wütend an.
Sie fand ihr Tun gar nicht gut, dachte er, während er einen verstohlenen Seitenblick auf die alte Frau warf. Der Frieden, den Mutter und Tochter erst am Tag zuvor geschlossen hatte, war schon wieder vergessen. Den Mund zu einem dünnen Strich zusammengekniffen, schmollte Addie in der Ecke vor dem Fenster und zwirbelte ihren Zopf. Sie grub eine Hand in die aufgenähte Tasche ihres Hauskleides, zog eine Selleriestange heraus und begann, mißmutig darauf herumzukauen.
Bryan wusste , daß Rachel ihr erklärt hatte, sie müßten die Antiquitäten auflisten und verkaufen, weil sie das Geld brauchten, und Addie schien das auch begriffen zu haben. Aber das hieß nicht, daß ihr die Sache gefallen musste . Er konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen. Ihr wurde Stück um Stück ihre Unabhängigkeit genommen. Eine stolze Frau wie Addie ließ das nicht kalt.
Trotzdem, dachte Bryan seufzend, hatte er sich gelobt, sowohl Rachel als auch Addie diesen Übergang zu erleichtern. Er atmete tief durch und begann, wieder zu singen.
»Sie ist ein blondes Mägdelein mit Haaren wie goldner Sonnenschein, und sie heißt Addie.«
Addie schaute ihn finster an und schnaubte so heftig, daß sie ihn mit Selleriestückchen besprühte.
»Ich glaube, sie mag mich.« Bryan grinste und zwinkerte Faith zu. »Was meinst du?«
Faith kicherte, und ihre dunklen Augen blitzten. Die Sonne, die durchs Fenster fiel, fing sich in ihren glänzenden Locken, die dadurch eher rot als golden aufleuchteten. Sie stupste Bryan mit dem Radiergummiende ihres Bleistifts in die Rippen. »Benimm dich, Hennessy, sonst schicken wir dich raus und geben dir richtige Arbeit.«
»Du hättest meine bezaubernden Patenkinder mitbringen können«, erklärte er ein bisschen vorwurfsvoll. »Die hätten mich bestimmt auf Trab gehalten.«
»Ganz bestimmt. Lindy hätte dich schon spuren lassen. Du weißt, wie sie Nicholas schikaniert.«
»Er wartet nur den geeigneten Moment ab«, antwortete Bryan. »In ein paar Jahren ist er größer und stärker als sie. Wir werden sehen, wer dann der Boß ist. Ich kann ihm ja ein paar Tipps für teuflische brüderliche Racheakte geben.«
Rachel lauschte ihrem fröhlichen Geplänkel. Es war offensichtlich, daß Bryan und Faith wie Bruder und Schwester zueinander standen. Sie verband ein tiefes Verständnis, das sich bei jedem Lächeln zeigte. Rachel beneidete sie darum. Sie hatte sich nie so eng mit jemandem verbunden gefühlt, nicht einmal mit Terence.
Noch während sie das dachte, drehte sich Bryan zu ihr um und sah sie mit demselben innigen Ausdruck, demselben durchdringenden Wissen in seinen blauen Augen an. Sein Blick war wie eine Einladung, diese ganz besondere Art von Freundschaft mit ihr einzugehen.
Die Versuchung war groß. Insgeheim wünschte sie sich sehnlichst, diese Einladung annehmen zu können. Es wäre schön, einen Freund zu haben, der einem beistand; aber trotzdem verwarf sie die Möglichkeit augenblicklich. Sie musste ihre Verantwortung selbst tragen, weil sie aus Erfahrung wusste , daß sie sich auf einen Mann wie Bryan auf die Dauer nicht verlassen konnte.
Nicht, daß sie ihm das zum Vorwurf machte. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß irgend jemand, wenn er noch einigermaßen bei Sinnen war, freiwillig die Aufgabe übernehmen würde, der sie gegenüberstand. Warum sollte sich jemand darum reißen, ihren Kummer mit ihr zu teilen?
Das Wort Liebe zog kurz durch ihren Kopf, aber sie verwarf es. Sie hatte den Glauben an eine romantische Liebe aufgegeben, genauso wie sie den Glauben an Wunder und an Happy-Ends aufgegeben hatte. Sie konnte sich solche romantischen Phantasien ebensowenig leisten wie die Schlaflosigkeit, die ihr in letzter Zeit ihre erotischen Träume bereiteten.
Bryan Hennessy stellte sich langsam als große Ablenkung von den Dingen heraus, auf die sie sich vor allem anderen konzentrieren musste . Als große,
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