Herbst
Ast – wo ist die Frucht?
Ich blühte Liebe, und die Frucht war Leid.
Ich blühte Glaube, und die Frucht war Haß.
An meinen dürren Ästen reißt der Wind,
Ich lach ihn aus, noch halt ich Stürmen stand.
Was ist mir Frucht? Was ist mir Ziel! – Ich blühte,
Und Blühen war mein Ziel. Nun welk ich,
Und Welken ist mein Ziel, nichts andres,
Kurz sind die Ziele, die das Herz sich steckt.
Gott lebt in mir, Gott stirbt in mir, Gott leidet
In meiner Brust, das ist mir Ziel genug.
Weg oder Irrweg, Blüte oder Frucht,
Ist alles eins, sind alles Namen nur.
Im Morgenwind aufschauert kalt das Tal,
Hart fallen Früchte vom Kastanienbaum
Und lachen hart und hell. Ich lache mit.
/ / HERBSTNÄCHTE
O Spätherbstnächte! Es ist schon seit Stunden dunkel, drüben über dem See liegen die Hügeldörfer mit roten Fenstern, eines vom andern und jedes von mir durch Regen, Wolken, Sturm und Finsternis getrennt. Sie glänzen herüber und verschwinden, je nachdem der Sturm die niedrig hängenden Wolken treibt. Von diesen Dörfern ist mir jedes bekannt und lieb, jedes ein Freund und eine Erinnerung. Dort ein Sonntag mit Freunden vertrunken! Dort ein Regennachmittag im Gespräch mit Wirtin und Wirtskindern hinter beschlagenen Fenstern verdämmert! Dort ein Abend, feucht und blau, am Rand der Weinberge verträumt, mit aufblinkenden Sternen, herüberwehender Dorfmusik und leisem Rauch aus abendblassen Kaminen, der hinter den schwarzen Kronen von Pappeln und Obstbäumen aufstieg!
Der Ofen, längst erloschen, wärmt noch gelinde, im Bratloch schläft die Katze, erwacht zuweilen für Minuten und fängt zu schnurren an. An den Wänden stehen mittausend breiten und schmalen Rücken meine Bücher. Und sooft ich ans Fenster gehe und an den feuchten Scheiben wische, liegen jenseits überm See die Dörfer mit leis glühenden Fenstern an den Hügeln, jedes eine Erinnerung. Und auf der Welt kein Laut, als der Pendelschlag der Kuckucksuhr, das feine Tropfen am Fenster und hie und da das zarte, schläfernde Schnurren der Katze. Ich spiele, wie man es an diesen langen Abenden gerne tut, mit Erinnerungen, alten Briefen und Tagebüchern und Gedichten, die ich als Knabe und als Jüngling schrieb. – Wie anders man damals war! Ich lese:
»– es ist seit jener Nacht, daß ich vom Leben weiß, daß es wie die Bewegung eines Schläfers, den ein Traum erregt, wie das Aufwallen einer kleinen Woge, wie das Lallen eines Halbwachen, und daß es kaum wert ist, gelebt zu werden.« Und:
»Wie schön du warst, wenn du dein feines, tröstendes Frauengesicht über meine fiebernden Augen beugtest! Wenn du mit mir der Erinnerung eines alten Liedes lauschtest, still, vorgebeugt, das tiefe Auge in die Nacht gewendet, die helle, vergeistigte Stirn von einer losen Locke märchenblonden Haares überhangen. Wenn du das Auge senktest und schweigend meine Hand mit deiner weißen Linken suchtest. – Wie schön du warst!«
Das schrieb ich, als ich wenig über zwanzig Jahre alt war;ich schrieb es an Spätherbstabenden und hatte das Gefühl, ich nehme mit diesen Worten Abschied von meiner Jugend. Es ging mir schlecht, ich erlebte nichts als Enttäuschungen, und nachts saß ich in meiner Mansarde wach und schrieb traurige Gedichte, ohne zu wissen, daß ich gerade in dieser Schwermut eine der süßesten Jugendwonnen durchgenoß. Nun klingt mir alles, was ich damals schrieb, so wunderlich, ein wenig lächerlich vielleicht, und doch so süß und wohllaut, wie nichts seither mehr in mir klang. – »Wie schön du warst!«
Da stehen meine Bücher, mehr als tausend, alle in sauren Hungerjahren langsam zusammengespart, ein schöner Schatz mit vielen Perlen drin. Sie stehen auf guten, festen Brettern und liegen nicht mehr wie früher am Boden und auf dem Bett und Sofa herum. An den Wänden hängen ein paar gute Bilder, und der große Ofen brennt, so lang ich will, ich brauche die Scheite nicht mehr zu zählen und zu sparen. Sogar ein Fäßchen Wein liegt im Keller, mit einem freundlichen Hahnen im Spundloch, und in der alten Zinnschachtel liegt beständig Tabak genug. Es geht mir also gut, sehr gut; selbst meine Katze wird fett, sie bekommt Milch, so viel sie mag.
Aber seit die Wälder rot sind und der See im Herbststurm blitzt und laubgrün und meerblau wird, seit die Ofenbehaglichkeit anfing und ich mein Segel vom Strand geholtund unter Dach gebracht habe, befällt mich öfters ein Zorn über dies bequeme Hinleben. Wenn ich abends beim Dunkelwerden zum Strand hinuntergehe, rauschen
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