Herbst
untergegangen,
Seit wir zuerst sie sangen,
Zärtliche Melodien.
Sterblich sind auch die Lieder,
Keines tönt ewig wieder,
Alle verweht der Wind:
Blumen und Schmetterlinge,
Die unvergänglicher Dinge
Flüchtiges Gleichnis sind.
// Es ist eine Sauarbeit, so im Spätherbst täglich ein halb Dutzend Bücher zu erhalten, die man alle lesen sollte, und dabei ist die Arbeit doch recht undankbar, so daß ich mich oft frage, zu was ich eigentlich immer mit Augenweh und Überarbeitung herumlaufe, da ich niemand damit viel nütze und nicht einmal etwas damit verdiene. Sobald ich einen guten jüngern Stellvertreter finde und namentlich sobald ich meiner selbst gewiß bin, daß ich die gewonnene Freiheit nicht doch gleich wieder irgendwieerwürge und verkaufe – dann werfe ich den Kram weg. Aber zunächst bin ich noch nicht so weit; ich bin im ganzen noch so durstig und wenig befriedigt von meinem Leben, daß ich, neben vielem Reisen, immer auch noch das Opiat einer angestrengten Arbeit brauche. Aber die Bücher sind mir nun bald so über, daß ich wohl doch nimmer lang fortmache.
(Aus einem Brief an Wilhelm Frick, 20. November 1910)
/ NOVEMBER 1914 /
Wald läßt die Blätter sinken,
Talnebel hängen schwer,
Es hat der Strom kein Blinken,
Der Wald kein Rauschen mehr.
Da kommt der Sturm gepfiffen
Und schüttelt lichtes Haar
Und fegt mit festen Griffen
Das Land vom Nebel klar.
Er schont nicht Laub nicht Äste,
Nichts Hübsches ist ihm wert,
Der Vogel bangt im Neste,
Der Bauer friert am Herd.
Räum auf und brich in Scherben,
Was nimmer halten mag,
Und reiß aus Nacht und Sterben
Empor den lichten Tag!
// Lieber Freund!
Ihr Referent liegt wieder einmal in einem Hotelzimmer und bekommt Schleimsuppe ans Bett gebracht, aber natürlich liegt der Nachttisch voll von Büchern, und der andre Tisch auch, und im Koffer sind auch noch welche. Man kann wieder Freude an ihnen haben, sie sehen nicht mehr so hoffnungslos aus wie in der Nachkriegszeit. Die Annäherung an den englischen Buch-Typus hat noch weitere Fortschritte gemacht, man liebt schmale Bände, die sich zur Not in der Manteltasche mitnehmen lassen, die dicken Wälzer sucht man durch Dünndruckausgaben verdaulich zu machen. […] Gern möchte ich einmal von einem Verleger erfahren, woher die seit einigen Jahren aufgetauchte Unsitte kommt, den Titel eines Buches innen im Buch über jeder Seite zu wiederholen. Wohl von Amerika? Es gibt nichts Unnützeres. Gewiß ist ja eine sehr große Zahl von Menschen heute nicht mehr imstande und geistig nicht mehr genügend interessiert, um den Titel eines Buches länger als eine Minute im Gedächtniszu behalten. Aber diese Hoffnungslosen lesen ja auch gar keine Bücher, sie fabrizieren Waren und treiben Sport, und es ist falsch spekuliert, wenn Bücherverleger auf diese Ärmsten im Geist meinen Rücksicht nehmen zu müssen. Jene paar andern, welche gesonnen sind, ein Buch wirklich zu lesen – haben sie es wirklich nötig, beim Lesen des Don Quixote oder des Grünen Heinrich alle zwei Minuten wieder daran erinnert zu werden, wie das Buch heißt, in dem sie lesen? […]
Was […] meine eigenen Bücher betrifft, lieber Freund, so bin ich nach wie vor in meine Spiele verliebt und trage seit mehr als einem Jahr ein Manuskript mit mir herum, das mir weit mehr Sorge macht als mein Magen und Darm, allerdings auch zu Zeiten weit mehr Freude. Und wenn ich aufsein kann, und der Herbsttag nicht gar zu trüb ist, mache ich meinen Farbkasten auf, fülle das Odolglas des Hotelzimmers mit Wasser, und male und schreibe an meinen Bilderhandschriften. Es ist ein wenig einsam, meine Freundin reist im fernen Osten herum und schreibt zwar reizende Briefe – aber nur so von Schleimsuppe und Briefen zu leben, das ist doch nichts für die Dauer. […]
Es kommt jetzt ein hübsches Zöfchen in Schwarz, das bringt mir Zwieback und Hagebuttentee, und räumt mir die Bücher vom Nachttisch weg. Und siehe, sie bringt noch etwas. Sie läuft noch einmal hinaus und kommtzurück mit einem Strauß von großen Chrysanthemen, rötlichviolett, der sei für mich abgegeben worden. Sie sind eigentlich zu feierlich und dekorativ, scheint mir, für Krankenzimmerblumen. Man sollte, um ihnen gerecht zu werden, eigentlich sterben und sie sich dann auf das Bett legen lassen. Sie sind so würdig und haben so große, schwere Krausköpfe. Nun ja, mit den Sommerblumen ist es zu Ende. Trinken wir unsern Tee und suchen wir zu schlafen.
(Aus: »Offener Brief an einen Bücherleser«,
Weitere Kostenlose Bücher