Herbst
schwere, hoffnungslose Stimmungen und traurige Gedanken. Er fühlte den Wunsch, mit zu vergehen, mit einzuschlafen, mit zu sterben, und litt darunter, daß seine Jugend dem widersprach und mit stiller Zähigkeit am Leben hing.
Er schaute den Bäumen zu, wie sie gelb wurden, braun wurden, kahl wurden, und dem milchweißen Nebel, der aus den Wäldern rauchte, und den Gärten, in welchen nach der letzten Obstlese das Leben erlosch und niemand mehr nach den farbig verblühenden Astern sah, und dem Flusse, in welchem Bad und Fischerei ein Ende hatten, der mit dürren Blättern bedeckt war und an dessen frostigen Ufern nur noch die zähen Gerber aushielten. Seit einigen Tagen führte er Massen von Mosttrebern mit sich, denn auf den Kelterplätzen und in allen Mühlen war man jetztfleißig am Mosten, und in der Stadt zog der Geruch von Obstsaft leise gärend durch alle Gassen.
In der untern Mühle hatte auch der Schuhmacher Flaig eine kleine Presse gemietet und lud Hans zum Mosten ein. Auf dem Vorplatz der Mühle standen große und kleine Mostkeltern, Wagen, Körbe und Säcke voll Obst, Zuber, Bütten, Kübel und Fässer, ganze Berge von braunen Trebern, hölzerne Hebel, Schubkarren, leere Gefährte. Die Keltern arbeiteten, knirschten, quietschten, stöhnten, meckerten. Die meisten waren grün lackiert, und dies Grün mit dem Braungelb der Treber, den Farben der Äpfelkörbe, dem hellgrünen Fluß, den barfüßigen Kindern und der klaren Herbstsonne zusammen gab jedem, der es sah, einen verlockenden Eindruck von Freude, Lebenslust und Überfluß. Das Knirschen der zermalmten Äpfel klang herb und appetitreizend; wer herzukam und es hörte, mußte schnell einen Apfel in die Faust nehmen und anbeißen. Aus den Röhren floß in dickem Strahl der süße junge Most, rotgelb und in der Sonne lachend; wer herzukam und es ansah, mußte um ein Glas bitten und schnell eine Probe kosten, dann blieb er stehen, bekam feuchte Augen und fühlte einen Strom von Süßigkeit und Wohlbehagen durch sich hindurchgehen. Und dieser süße Most erfüllte die Luft weitherum mit seinem frohen, starken, köstlichen Geruch. Dieser Duft ist eigentlich das Feinste vomganzen Jahr, der Inbegriff von Reife und Ernte, und es ist gut, ihn so vor dem nahen Winter einzusaugen, denn dabei erinnert man sich mit Dankbarkeit an eine Menge von guten, wunderbaren Dingen; an sanfte Maienregen, rauschende Sommerregen, kühlen Herbstmorgentau, an zärtlichen Frühlingssonnenschein und glastend heißen Sommerbrand, an die weiß und rosenrot leuchtende Blüte und an den reifen, rotbraunen Glanz der Obstbäume vor der Ernte und zwischenein an alles Schöne und Freudige, was so ein Jahreslauf mitgebracht hat.
(Aus: »Unterm Rad«, 1903)
// Stille, schläfernde Tage! Blätterfall und Nachtstürme sind vorüber, es ist noch einmal sonnig geworden. Der Himmel hat ein lindes, lichtes Blau und wesenlos dünne, lang wie Herbstfäden hingezogene Streifen weißer und violetter Wolken. In den Spitzen der hohen Pappeln wehen noch letzte goldgelbe Blätter, und im Walde ist das Moos noch grün und weich unter dem feuchten, braunroten Laub. Alle Farben sind milder und klingen inniger zusammen. Wohin die Sonne scheint, ist alles noch einmal lebendig, schön und der Liebe wert. Der Herbst war reich, Feldfrucht und Wein und Obst in Fülle; nun liegt im klaren Lichte der entlastete Boden weit und ruhend, dasgrößer und freier gewordene Land verglüht in zarten Farben, dehnt sich weich und atmet Erlösung.
Vielleicht wird nun auch mein unzufriedenes und begehrliches Herz leichter tragen, leichter entsagen, leichter Erlösung, Herbst und Ruhe finden. Ich wünsche es und wünsche es nicht. Süß und begehrenswert ist der Friede, süßer und im Kern köstlicher ist der Sturm.
(Aus: »Gertrud«, erste Fassung, 1906/07)
/ WELKES BLATT /
Jede Blüte will zur Frucht,
Jeder Morgen Abend werden,
Ewiges ist nicht auf Erden
Als der Wandel, als die Flucht.
Auch der schönste Sommer will
Einmal Herbst und Welke spüren.
Halte, Blatt, geduldig still,
Wenn der Wind dich will entführen.
Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
Laß es still geschehen.
Laß vom Winde, der dich bricht,
Dich nach Hause wehen.
/ GANG IM SPÄTHERBST /
Herbstregen hat im grauen Wald gewühlt,
Im Morgenwind aufschauert kalt das Tal,
Hart fallen Früchte vom Kastanienbaum
Und bersten auf und lachen feucht und braun.
In meinem Leben hat der Herbst gewühlt,
Zerfetzte Blätter zerrt der Wind davon
Und rüttelt Ast um
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