Herbst
aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd wie die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.
Werke III , 203
Der Novembertag
Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm, wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.
Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weiÃes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens SchluÃoktaven.
Werke I , 17f.
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Ja, der November ist, im Durchschnitt der Jahre, der unerträglichste Monat, aber am zwölften dachte ich viel an Sie: wer weiÃ, hätte sich Ihr ursprüngliches Programm erfüllen lassen, vielleicht wären Sie gerade hier gewesen; es war, mitten im nachlassenden, nach Innen zurückschlagenden Jahr, ein Tag für sich, klar, rein und mild, wie aus einer unbekannten Jahreszeit des Seins ins Vergängliche ohne sichtbare Fugen eingesetzt. Ein Tag des Verweilens, der auch in sich keinen Ablauf hatte. Und ich dachte immer wieder: nun sollten Sie hier sein.
K. Kippenberg (21. 11. 1923), 509
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Es ist ganz stille. Aufrecht steht der Duft
vergangner Farben in den welken Wegen.
Die Himmel halten einen langen Regen
die Blätter gehn auf Stufen durch die Luft
Werke II , 324
Schwerkraft
Mitte, wie du aus allen
dich ziehst, auch noch aus Fliegenden dich
wiedergewinnst, Mitte, du Stärkste.
Stehender: wie ein Trank den Durst
durchstürzt ihn die Schwerkraft.
Doch aus dem Schlafenden fällt,
wie aus lagernder Wolke,
reichlicher Regen der Schwere.
Werke II , 179
Einsamkeit
Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.
Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:
dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen â¦
Werke I , 397f.
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Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.
Aus ihnen kommt mir Wissen, daà ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.
Werke I , 254f.
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Verständigt mit abnehmender Natur,
fällt mir die Kraft in dem, was ich erfuhr.
Den Engel stellt Gott vor wie eine Uhr,
er mag im Herbst künftigen Herbst empfinden.
Wir aber schlürfen mit den Winden
und ziehen Spur und wischen Spur.
Das Meer blüht nie.âJetzt wieder wächst das Meer
und kommt sich von den Rändern stark entgegen,
und Christus, auf dem Ãberfluss von Wegen,
geht einzig gläubig drüber hin und her.
Der Himmel singt in seiner Sicherheit,
hoch über Zeit die reichen Sterne singen,
wir treiben mit den abgehärmten Dingen
zwieschweigende Geselligkeit.
In trüben Spiegeln suchen wir Beweis
für unser Aufstehn, während unbewiesen
der Schlaf zurückbleibt.âVielleicht Schlaf von Riesen
von unsrem ganzen Blute heiÃ.
Doch eingeschränkt in morgengraue Zimmer
gewöhnen wir uns an des Tages Gang
und nehmen Nahrung an und wohnen immer
die gleiche Einsamkeit entlang.
Und haben Hoffnung und Verwunderung
und dies zur Sorge, jenes zum Gewissen â
nur der uns einstens dringend hingerissen
der Schwung, der Schwung:
Ihr Engel, jener, der euch täglich reiÃt
.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.
Werke II , 398f.
Erinnerung
Und du wartest, erwartest das Eine,
das dein Leben unendlich vermehrt;
das Mächtige, Ungemeine,
das Erwachen der Steine,
Tiefen, dir zugekehrt.
Es dämmern im Bücherständer
die Bände in Gold und Braun;
und du denkst an durchfahrene Länder,
an Bilder, an die Gewänder
wiederverlorener Fraun.
Und da weiÃt du auf einmal: das war es.
Du
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