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Herbst

Herbst

Titel: Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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lichtgrünen Garten die ersten Meisen zu hören, die sich versuchen, und in der Ferne die Dorfuhr. Zu sitzen und auf einen
warmen Streifen Nachmittagssonne zu sehen und vieles von vergangenen Mädchen zu wissen und ein Dichter zu sein. Und zu denken, daß ich auch so ein Dichter geworden wäre, wenn ich irgendwo hätte wohnen dürfen, irgendwo auf der Welt, in einem von den vielen verschlossenen Landhäusern, um die sich niemand bekümmert. Ich hätte ein einziges Zimmer gebraucht (das lichte Zimmer im Giebel). Da hätte ich drinnen gelebt mit meinen alten Dingen, den Familienbildern, den Büchern. Und einen Lehnstuhl hätte ich gehabt und Blumen und Hunde und einen starken Stock für die steinigen Wege. Und nichts sonst. Nur ein Buch in gelbliches, elfenbeinfarbiges Leder gebunden mit einem alten blumigen Muster als Vorsatz: dahinein hätte ich geschrieben. Ich hätte viel geschrieben, denn ich hätte viele Gedanken gehabt und Erinnerungen von Vielen. Aber es ist anders gekommen, Gott wird wissen, warum. Meine alten Möbel faulen in einer Scheune, in die ich sie habe stellen dürfen, und ich selbst, ja, mein Gott, ich habe kein Dach über mir, und es regnet mir in die Augen.
    Werke VI (Die Aufzeichnungen des
    Malte Laurids Brigge), 741-747
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    Nur der kann wirklich über ein Buch oder ein Bild klar sein, der es besitzt. Gelegentlich gesehene Galeriebilder verwirren. Wir nehmen in den Augen neben ihnen – selbst wenn sie in einem Raume isoliert hängen – den Eindruck dieses fremden Raumes, irgendeine Geste des Galeriedieners und vielleicht überdies die Erinnerung an einen Geruch mit, der nun in ungerechter Weise unser Gedenken aufdringlich begleitet. Das alles, welches unter bestimmten Umständen als eine Ergänzung der Stimmung wirken
könnte, ist in seiner grausamen Stillosigkeit und Zufälligkeit brutal. Es ist wie der Besuch bei einem großen und bedeutenden Mann im Hotel. Ich erinnere mich mehrerer solcher Besuche; davon steht bei dem einen neben der Erscheinung der betreffenden Persönlichkeit ein Nachtkasten, dessen Türchen beständig krähend aufging, und irgendein verlaufener Pantoffel unabweisbar in meinem Sinn, und den anderen kann ich mir nur in Begleitung eines arg verwüsteten Frühstückstabletts vorstellen, über welches quer ein Hemdkragen wie eine Brücke ausgespannt war.
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    Bei Büchern ist das ganz ebenso. Ein mir gewohntes Exemplar erzählt mir seine Sache mit aller Vertraulichkeit. Je öfter ich es benütze, je näher liegt es mir, ihm einmal die Geschichte zu erzählen, während es den Zuhörer spielt. Ein befreundetes Buch geht gern und willig diesen muntern Wechsel ein, und es erwachsen gar schöne Situationen daraus. Mit der Zeit steht in dem Buch das Zehnfache von dem, was es wirklich gedruckt enthält; ich lese meine eigenen Erinnerungen und Gedanken immer wieder mit. Es ist nicht mehr in dem Deutsch von dem und jenem geschrieben, es ist mein ureigenstes Idiom. Aber dasselbe Buch in einer anderen Ausgabe ist wie ein Mensch, der mir irgendwo in der Fremde begegnet und von dem ich kaum zu sagen weiß, ob er mir nur vom Vorübergehen oder vom Verkehr bekannt sei.
    Â 
    Gegen geborgte Bücher behält man stets eine gewisse formelle Höflichkeit. Ich würde das Buch, welches ein Mädchen mir geborgt hat, nie im Bette oder in Morgenkleidung lesen und ein Werk aus der großen Bücherei eines Kollegen nicht in meine enge Büchersammlung stellen, sondern ihm einen bevorzugten Platz auf meinem Tisch zuweisen.
Wenn ich vollends einen Vorgesetzten hätte – das muß wie eine zu niedrige Zimmerdecke sein –, könnte ich Bücher, von ihm entlehnt, doch unmöglich anders als mit dem Hut in der Hand gebrauchen; kurz, man gewinnt kein Verhältnis zu solchen Büchern, man bleibt stets ›per Sie‹ mit ihnen.
    Tagebücher, 54-56
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    Vertrau den Büchern nicht zu sehr; sie sind
Gewesenes und Kommendes. Ergreife
ein Seiendes. So wird auch deine Reife
nicht alles sein. Denn da ist Jeder Kind,
    wo Dinge stehn, unendlich überragend,
was sich in uns zu mehr zusammen nimmt;
wir raten nur und sagen alles fragend,
sie aber gehn in sich und sind bestimmt.
    Und wenn du auch dein Leben so begannst
als solltest du's in Stunden überwinden:
im Kleinsten wirst du einen Meister finden,
dem du tiefinnen nie genugtun kannst.
    Werke

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