Herbst
Flammen
âunsere Sehnsucht saà und â schlief.
Der junge Mann:
âGlaubst Du, Schwester,
âSehnsucht in Dir
âkann einmal schlafen ?
Das Mädchen:
âFester als wir â¦
â Pause
Der junge Mann:
â Meine Sehnsucht war immer wach.
âTausendfach fühlte sie jede Freude,
âdie der Tag in das Land gelacht,
âund in der Nacht
âbaute sie lauter weiÃe Gebäude.
Das Mädchen:
âWo?
Der junge Mann:
âWir werden sie nicht mehr sehn â¦
Das Mädchen:
âWas macht uns blind?
Der junge Mann:
â fortfahrend
âViele verlassene Städte stehn,
âviele vergessene Gärten vergehn
âmitten im Wind â¦
Das Mädchen:
âWie Du das sagst. Man muà traurig sein.
âUnd Du, bist Du selber traurig?
Der junge Mann:
âNein.
âNur leis.
âMan muà nicht immer so oder so sein.
âVielleicht ist Traurigsein reiferes Frohsein, â
âwer weiÃ?
âVielleicht, daà wir allem unrecht tun,
âwas uns umgibt.
âWie dürften wir ruhn,
âeh uns Alles liebt.
Das Mädchen:
âAber denk nur: wir waren doch froh â¦
Der junge Mann:
âWir waren so
âwie die Kinder sind, die spielen,
âbis man sie schlafen schickt.
âWir haben uns manchmal angeblickt
âwie Kinder, die zu ungewohnter Stunde wachen:
âEingetrocknetes Lachen
âauf müdem Munde.
âAugen, die nichtmehr schauen,
âAugen aus Glas,
âoffengehalten von irgendwas.
âFühlst Du kein Grauen?
â Pause
âVerzeih mir. Es wird ja nichtmehr so sein.
âDu bist wieder Dein. Ich bin wieder mein.
âUnd jedes ist anders als zuvor.
Das Mädchen:
âIch glaube: wer Liebe verlor,
âhat Liebe niemals erworben. â
âWo gehst Du jetzt hin?
Der junge Mann:
âVon Sinn zu Sinn.
âMeine Sterne sind ja nicht gestorben,
âSchwester.
âIch glaube fester an sie als je.
âNur weià ich: Wunder und Weh
âkommen von anderswo.
âEs ist alles nicht so,
âwie man meint:
âMan weint sich nicht in ein Leid hinein
âund lacht sich nicht in ein Seligsein
âund wärmt sich an keiner Verwandtschaft.
âUnd was Du schaust
âund erbaust,
âliebst und verstehst:
â ist alles Landschaft ,
â durch die Du gehst.
Werke III , 394-397
Ernste Stunde
Wer
jetzt weint irgendwo in der Welt,
ohne Grund weint in der Welt,
weint über mich.
â
Wer
jetzt lacht irgendwo in der Nacht,
ohne Grund lacht in der Nacht,
lacht mich aus.
â
Wer
jetzt geht irgendwo in der Welt,
ohne Grund geht in der Welt,
geht zu mir.
â
Wer
jetzt stirbt irgendwo in der Welt,
ohne Grund stirbt in der Welt:
sieht mich an.
Werke I , 405f.
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Seitdem habe ich viel über die Todesfurcht nachgedacht, nicht ohne gewisse eigene Erfahrungen dabei zu berücksichtigen. Ich glaube, ich kann wohl sagen, ich habe sie gefühlt. Sie überfiel mich in der vollen Stadt, mitten unter den Leuten, oft ganz ohne Grund. Oft allerdings häuften sich die Ursachen; wenn zum Beispiel jemand auf einer Bank verging und alle standen herum und sahen ihm zu, und er war schon über das Fürchten hinaus: dann hatte ich seine Furcht. Oder in Neapel damals: da saà diese junge Person mir gegenüber in der Elektrischen Bahn und starb. Erst sah es wie eine Ohnmacht aus, wir fuhren sogar noch eine Weile. Aber dann war kein Zweifel, daà wir stehenbleiben muÃten. Und hinter uns standen die Wagen und stauten sich, als ginge es in dieser Richtung nie mehr weiter. Das blasse, dicke Mädchen hätte so, angelehnt an ihre Nachbarin, ruhig sterben können. Aber ihre Mutter gab das nicht zu. Sie bereitete ihr alle möglichen Schwierigkeiten. Sie brachte ihre Kleider in Unordnung und goà ihr etwas in den Mund, der nichts mehr behielt. Sie verrieb auf ihrer Stirn eine Flüssigkeit, die jemand gebracht hatte, und wenn die Augen dann ein wenig verrollten, so begann sie an ihr zu rütteln, damit der Blick wieder nach vorne käme. Sie schrie in diese Augen hinein, die nicht hörten, sie zerrte und zog das Ganze wie eine Puppe hin und her, und schlieÃlich holte sie aus und schlug mit aller Kraft in das dicke Gesicht, damit es nicht stürbe. Damals fürchtete ich mich.
Aber ich fürchtete mich auch schon früher. Zum Beispiel, als mein Hund starb. Derselbe, der mich ein- für allemal beschuldigte. Er war sehr
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