Herbst
von allen (ich sah mich um) durfte meinen, dieser Staat wäre um seinetwillen?
Mein Gott, fiel es mir mit Ungestüm ein, so bist du also. Es giebt Beweise für deine Existenz. Ich habe sie alle vergessen und habe keinen je verlangt, denn welche ungeheuere Verpflichtung läge in deiner GewiÃheit. Und doch, nun wird mirs gezeigt. Dieses ist dein Geschmack, hier hast du Wohl
gefallen. Daà wir doch lernten, vor allem aushalten und nicht urteilen. Welche sind die schweren Dinge? Welche die gnädigen? Du allein weiÃt es.
Wenn es wieder Winter wird und ich muà einen neuen Mantel haben, â gieb mir, daà ich ihn so trage, solang er neu ist.
Werke VI (Die Aufzeichnungen des
Malte Laurids Brigge), 899-903
Die Blinde
Ich bin eine Insel und allein.
Ich bin reich. â
Zuerst, als die alten Wege noch waren
in meinen Nerven, ausgefahren
von vielem Gebrauch:
da litt ich auch.
Alles ging mir aus dem Herzen fort,
ich wuÃte erst nicht wohin;
aber dann fand ich sie alle dort,
alle Gefühle, das, was ich bin,
stand versammelt und drängte und schrie
an den vermauerten Augen, die sich nicht rührten.
Alle meine verführten Gefühle â¦
Ich weià nicht, ob sie Jahre so standen,
aber ich weià von den Wochen,
da sie alle zurückkamen gebrochen
und niemanden erkannten.
Dann wuchs der Weg zu den Augen zu.
Ich weià ihn nicht mehr.
Jetzt geht alles in mir umher,
sicher und sorglos; wie Genesende
gehn die Gefühle, genieÃend das Gehn,
durch meines Leibes dunkles Haus.
Einige sind Lesende
über Erinnerungen;
aber die jungen
sehn alle hinaus.
Denn wo sie hintreten an meinen Rand,
ist mein Gewand von Glas.
Meine Stirne sieht, meine Hand las
Gedichte in anderen Händen.
Mein Fuà spricht mit den Steinen, die er betritt,
meine Stimme nimmt jeder Vogel mit
aus den täglichen Wänden.
Ich muà nichts mehr entbehren jetzt,
alle Farben sind übersetzt
in Geräusch und Geruch.
Und sie klingen unendlich schön
als Töne.
Was soll mir ein Buch?
In den Bäumen blättert der Wind;
und ich weiÃ, was dorten für Worte sind,
und wiederhole sie manchmal leis.
Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
findet meine Augen nicht â¦
Werke I , 486
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen.âDiese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Werke I , 400
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Dies scheint mir immer noch das Wunderbarste des Lebens, daà oft das Plumpe und Grobe irgend eines Eingriffs, daà eine offenkundige Verstörung zum Anlaà werden kann, eine neue Ordnung in uns anzulegen. Dies ist ja die vorzüglichste Leistung der Lebenskraft, daà sie sich das Böse in Gutes auslegt und recht eigentlich umkehrt: Ohne diese Zauberei wären wir alle böse, denn Böses kommt an jeden heran und in jeden hinein, und man könnte jeden in einem Moment überraschen, da er »schlecht« wäre; nur daà man nicht stehen bleibe, das ist das Geheimnis, daà man lebe , â nichts ist unhaltbarer als das Schlechte, darum dürfte kein Mensch je denken, daà er es »sei«, er rühre sich: schon ist er es nicht mehr.
Einmal stand ich auf einer Brücke in Paris und sah von ferne auf einer zum Fluà hinunter gemauerten StraÃe, in Wachstuch eingeschlagen, einen Selbstmörder liegen, den man eben tot aus der Seine gezogen hatte. Plötzlich hörte ich jemanden neben mir etwas sagen; es war ein junger blonder Fuhrmann in blauer Bluse, ganz jung, rothblond, mit klugem, pfiffig-zugespitztem Gesicht. Am Kinn hatte er eine Warze, aus der ein steifes Büschel rother Haare, wie ein Pinsel, beinahe übermüthig, heraussprang. Da ich
mich ihm zukehrte, wies er mit einem Ruck des Kopfes gegen jenen Gegenstand hin, der uns beide beschäftigte, und sagte, zwinkernd: »Dites donc celui-là , s'il a pu encore faire ça, il aurait bien pu faire autre chose.«
Ich schaute ihm erstaunt nach, während er schon zu seinem enormen Steinkarren zurückging, denn wirklich: was müÃte man nicht alles mit eben jener Kraft leisten können, die nöthig ist, um die starken gewaltigen Bindungen des Lebens zu lösen! Seither weiÃ
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