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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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besonders, nachdem sie selbst erst vor wenigen Stunden die Anwesenheit eines anderen Vampirs gespürt hatte.
    Sie beobachtete die griesgrämig dreinblickenden Passanten, die vor dem gnadenlosen Londoner Regen flohen und das Café Madeira regelrecht belagerten. Die namensgebende Insel bot derzeit wohl deutlich angenehmeres Wetter.
    Sie durchforstete ihren in aller Eile vollgestopften Rucksack. Bücher, knapp fünfzig Pfund Erspartes, eine Wasserflasche, ein paar Klamotten und ihre dunkelgrüne Strickmütze. Dankbar stopfte sie ihre nassen Haare darunter, ließ ein paar Münzen auf der Theke liegen und verließ das Café. Ohne Ziel, aber dafür mit einer wärmenden Portion neuen Mutes.
    Sie war noch keine zehn Minuten auf der Pancras Road in Richtung Camden gelaufen, als der Regen nachließ. Mit ihm verflüchtigte sich auch die Trauerstimmung der Passanten um sie herum. Matt spiegelten sich Straßenlaternen auf der Straße und dem breiten Bürgersteig. Sie waren an diesem Morgen gar nicht erst gelöscht worden.
    Gemächlich schlenderte sie durch den Caledonian Park , verweilte einige Minuten mit Blick auf den alten Uhrenturm, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Immer wieder bedachte sie vorbeieilende Geschäftsmänner, Studenten, joggende Väter oder uniformierte Schulkinder mit aufmerksamen Blicken und fragte sich, ob sie grundsätzlich alle Vampire in ihrer Nähe spüren konnte. Nicht, dass sie besonders erpicht darauf war, es herauszufinden. Bei Elias hatte sie es nicht gespürt. Oder vielleicht nur noch nicht gewusst, was sie überhaupt spüren musste.
    Sie bummelte an den kleinen Geschäften des Bezirks Islington vorbei, einer relativ ruhigen Gegend nördlich des trubeligen Zentrums. Dennoch war selbst hier weit mehr los als in Woods End. Es gab hier unglaublich viele Buchläden, die eine unverändert beruhigende Wirkung auf sie ausübten. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass sie Tage wie diese oft mit einem Buch verbracht hatte – im Sheltering Tree oder in Woods End.
    Diese Tage würde es nie wieder geben.
    Dass sie nicht nur Trauer bei diesen Gedanken empfand, führte sie darauf zurück, keine andere Wahl gehabt zu haben. Sie hatte ihre Familie und Jake nicht noch länger in Gefahr bringen dürfen. Auch wenn sie nicht sicher sein konnte, ob sie die Bedrohung durch ihre Flucht abgewendet hatte. Besser als nichts war es allemal.
    Ein besonders schönes Buchgeschäft zog sie magisch an. Das große Schaufenster voller ledergebundener Schmuckstücke und Klassiker, die alte, quietschende Holztür, das verschnörkelte Schild über dem Eingang, das auf 1896 datiert war, und drinnen Bücher, nichts als Bücher. Bis gerade eben war Emily überzeugt gewesen, dass solche Läden nur in ebendiesen Büchern existierten, die hier im Schaufenster standen.
    Er hatte noch geöffnet. Aufgeregt betrat sie den engen Laden, dessen Decke eindeutig für die Platzarmut entschädigte und sich hoch über ihr in schummriger Ferne verlor. Turmhohe Bücherregale reihten sich aneinander und wirkten, als würden sie den Neuankömmling kritisch beäugen. Stapel großer Folianten, kleiner Schmuckausgaben, goldgeprägter Bände und zerfledderter Taschenbücher standen neben und in den Regalen, auf dem Tisch mit der alten Registrierkasse und den kleinen Schemeln, die augenscheinlich für die Kunden gedacht waren. Kurz: Außer Büchern war in diesem Paradies kaum etwas auszumachen.
    Kaum.
    »Guten Abend, junge Dame«, ertönte unerwartet eine Stimme aus den Tiefen des Ladens. »Suchst du etwas Bestimmtes?«
    »Oh, hallo«, sagte Emily in Richtung der schattigen Ecke, aus der die Stimme zu kommen schien. »Nein, ich wollte mich nur umsehen. Sie haben eine wirklich schöne Buchhandlung.« Und eine, die wahrscheinlich erst achtzig Jahre nach meiner Geburt eröffnet wurde , fügte sie in Gedanken hinzu.
    Ein sehr alter Mann trat in den schwachen Lichtkegel einer altmodischen Deckenlampe. Die dicke Brille und der gebückte Gang wiesen ihn auch außerhalb seiner Literaturfundgrube als belesenen Bücherwurm alter Schule aus. »Das freut mich zu hören. Es passiert nicht oft, dass sich Menschen deines Alters in meinen Laden verirren.«
    Wenn Sie wüssten , dachte sie.
    Er musterte sie aufmerksam. »Hmmm«, machte er dann, »für was interessiert sich denn eine aufgeweckte junge Dame wie du?«
    »Für nichts Bestimmtes«, erwiderte Emily, als ihr Blick auf einen Bildband vom Highgate Cemetery fiel. Etwas regte sich in ihr. War es, weil Jake von diesem

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