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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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dauernd angestarrt zu werden. Hatte sie dies anfangs darauf geschoben, neu an der Schule zu sein, war es ihr auf dem Weg in den Klassenraum dann doch etwas seltsam vorgekommen, unter Hunderten Schülern und Schülerinnen aufzufallen wie ein schwarzes Schaf.
    »Aber dir ist doch wohl klar, warum, oder?«, fragte Sophie belustigt, nachdem Emily sich ihr noch vor der ersten Stunde anvertraute.
    »Natürlich, ich bin die Neue. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich so ausgiebig unter die Lupe genommen werden würde.«
    Sophie musste lachen. Das war mal wieder typisch Emily. »Na was soll’s, irgendjemand muss es dir ja mal sagen: Du bist so ziemlich das hübscheste Mädchen, das je die Woods-End-Gesamtschule besucht hat. Und jetzt bild dir bloß nichts darauf ein, sonst fällst du noch mehr auf«, sagte sie und grinste. Dass sie sich gehörig etwas darauf einbildete, Emily als ihre Schwester vorstellen zu können, verschwieg sie natürlich. Emily musste ja nicht alles wissen. »Die erste Stunde fängt an!«
    Wie auf Kommando rauschte eine spindeldürre Frau zur Tür herein. Entsetzt fand sich Emily goldenen Schuhen, goldenen Fingernägeln, klobigen goldenen Armbändern, goldenen Ohrringen in Käferform und – beunruhigenderweise – goldenen Haaren gegenüber. Etwas ungelenk nahm das Wesen hinter dem Pult Platz. Emily merkte schnell, dass Miss Peacroft sich vorzüglich darauf verstand, dem Lernen jeglichen Spaß zu rauben und Emilys Vorfreude auf den Matheunterricht gänzlich verpuffen zu lassen. Und was noch schlimmer war: Die Lady schien es auf Neuankömmlinge abgesehen zu haben und wurde nur noch unausstehlicher, als Emily jede an sie gestellte Aufgabe, selbst die offensichtlich ungerechten und kniffligen, fehlerfrei und schnell beantworten konnte.
    »Wow!«, zischte Sophie anerkennend. »Du hast es geschafft, dir gleich in der ersten Stunde einen Feind zu machen.«
    Emilys Plan, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen, war allerspätestens jetzt grandios gescheitert.
    Schon in der großen Pause stand fest, dass dieser Tag nicht so schlimm werden würde, wie Emily es sich in den letzten Wochen ausgemalt hatte. Er wurde viel schlimmer.

    Auf den Geschichtsunterricht hatte sich Emily eigentlich am meisten gefreut. Schon immer mit einem schwer zu stillenden Interesse an historisch relevanten Fakten ausgestattet, hatten die wöchentlichen Ausflüge in die Bibliothek während ihrer Zeit im Waisenhaus ihr Übriges getan, um dem jungen Mädchen ein geradezu unheimliches geschichtliches Wissen zu verschaffen.
    Dass dies bei Mr Randall, der wegen seines Aussehens und der lässigen Klamotten der heimliche Schwarm mehr als eines Mädchens war, sofort auf Anerkennung stieß, war nicht weiter verwunderlich.
    »Also, denken wir uns zurück ins 19. Jahrhundert«, holte Eugene Randall aus. Emily hing förmlich an den Lippen des Lehrers, andächtig lauschte sie seinen Ausführungen über das viktorianische Zeitalter. Dass dies nichts, oder zumindest nicht ausschließlich, mit seinem Aussehen zu tun hatte, stieß bei Sophie auf taube Ohren. Grinsend ahmte sie Emilys träumerischen Blick nach, mit dem sie dem Unterricht folgte.
    Emily war es einerlei: Wie ein Kind, dem man ein packendes Märchen vorliest, dachte sie sich in das viktorianische Zeitalter hinein. Wie dieser Lehrer so leidenschaftlich vom Krimkrieg, von dem gewaltigen Empire und von der brummenden Hauptstadt erzählte … das alles kam Emily seltsam vertraut vor. Es fühlte sich an, als wäre sie selbst dabei gewesen, und sie konnte förmlich das Rascheln der opulenten viktorianischen Kleider auf den Gehwegen Londons und das Hufgetrappel der Pferde hören.
    »Wer kann mir sagen, ob Königin Victoria anderen Religionen und Randgruppen gegenüber so liberal und freundlich eingestellt war wie ihr Vorgänger, König William?« Als würde sie aus einer anderen Zeit stammen, wehte Randalls Frage in ihre Versunkenheit. Diesmal lösten seine Worte keine angenehmen Bilder aus. Wie vor wenigen Wochen in Mr Abtrees Büro durchfuhr sie ein gleißender Blitz aus dem Nichts, der die Bilder vor ihrem inneren Auge in Flammen, Mord und grausame Hetzjagden verwandelte.
    »Liberal?«, stieß sie hervor und sprang auf. Entgeistert blickte Sophie sie an. Dafür, dass Emily kein Aufsehen erregen wollte, machte sie an ihrem ersten Tag ziemlich viel falsch. Der Rest der Klasse musterte das neue Mädchen neugierig.
    »Ah, Emily.« Nach ihren geistreichen Wortmeldungen zu Beginn der

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