Herbstbringer (German Edition)
blickte Emily ungläubig an. »Hab ich das gerade wirklich gesehen? Ich meine, WIRKLICH ?«
»Was hast du denn gesehen?« Für Emily waren die letzten Augenblicke ein Wirbelsturm an Empfindungen, Gerüchen und Erinnerungen gewesen. Es war, als wäre ein weiteres Fenster zu ihrem früheren Leben geöffnet worden.
»Du warst nicht du. Also, du warst doch du, aber anders. Deine Augen – Emily, deine Augen sahen anders aus.«
»So habe ich mich auch gefühlt.«
Zweifelnde Augen ruhten auf ihr. »Aber jetzt geht’s wieder?«
Emily nickte. »Immerhin bist du nicht weggerannt oder hast einen panischen Schreikrampf bekommen.«
»Was hat das alles zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht«, log Emily. Sie hielt es für das Beste, Sophie nicht sofort die ganze Wahrheit auf die Nase zu binden. Ich bin ein Vampir, Schwesterherz. Keine gute Idee.
»Ich bin jedenfalls nicht die, die ich zu sein glaubte. Elias kennt mich von früher, aber dieses Früher liegt deutlich länger zurück, als ich dachte. Und was immer ich damals war – ich habe mich dagegengestellt.« Sie gestikulierte wild. »Deswegen passiert das hier alles. Ich glaube, ich bin verflucht.«
»Verdammte Scheiße!«, platzte es aus Sophie heraus. »Gerade hatte ich mir diese Flausen von Jakes Großvater aus dem Kopf geschlagen, und dann kommst du und ziehst diese Horrorshow hier ab.«
»Und genau deshalb muss ich nach London. Elias ist meine einzige Hoffnung, Licht ins Dunkel zu bringen.«
»Aber was sagen wir Mom und Dad?«
Darüber hatte Emily bereits nachgedacht. »Wir können doch sagen, dass wir eigentlich gerne den Familienausflug machen würden, ich aber leider diese Hausarbeit für meine Kunstgeschichte- AG fertig machen muss.«
»Stimmt, dann lohnt sich diese Streberei sogar«, frotzelte Sophie, für einen kurzen Moment wieder ganz die Alte. Es verging schneller als das Blatt im Emilys Händen. »Emily?«, fragte sie ernst. »Was wird jetzt aus dir? Aus uns?«
Emily atmete schwer. »Wenn ich das wüsste.«
Ermutigt von Sophies Reaktion, nahm sie den nächsten Bus zurück nach Woods End, um mit Jake zu sprechen. Vielleicht würde er ähnlich gefasst reagieren.
Sie lag total daneben. »Ist das dein Ernst?«, ereiferte er sich, nachdem Emily ihm von der vergangenen Nacht erzählt und ihre Pläne offenbart hatte. »Du willst dich einem wildfremden Typen anvertrauen, der mit ziemlicher Sicherheit ein Vampir ist?«
»Ich habe keine andere Wahl. Wieso versuchst du nicht einmal, mich zu verstehen?«
»Weil es da nichts zu verstehen gibt!«, schimpfte er. Unruhig lief er in seinem Zimmer auf und ab. Im Hintergrund nahm Emily ziemlich aggressive und düstere Musik wahr. Was zu Jakes Erscheinungsbild passte: Er sah müde aus, hatte dicke Augenringe, das ungekämmte Haar stand wirr vom Kopf ab. Er trug Schwarz. Selbst jetzt war er noch süß. Süß und unglaublich stur.
»Hast du denn gar nicht zugehört? Ich bin in großer Gefahr. Und ihr seid das auch – meinetwegen. Ich tue das doch nicht nur für mich!«
Sein Bücherregal schien ihn plötzlich brennend zu interessieren. Er drehte Emily den Rücken zu. »Ich habe zugehört. Aber vielleicht hast du es ja nicht verstanden. Solange du nichts tust, wird dir auch nichts passieren. Das war doch die Essenz, oder? Wieso willst du dich denn dann auf Teufel komm raus tiefer in diese Sache verstricken? Ich dachte, du hast dich gegen die Vampire gestellt!«
Emily wusste nicht, ob er es wirklich nicht verstand oder nur nicht verstehen wollte.
»Du willst mich also hierbehalten, ohne zu wissen, welche Konsequenzen das hat?« Jetzt wurde auch Emily lauter. »Jake, das ist nicht nur egoistisch, sondern auch dumm.«
»Dann bin ich eben dumm. Ich denke nur, dass es am sichersten wäre, wenn du hierbleibst. Und dich nicht diesem dahergelaufenen Vampir an den Hals wirfst.« Er machte sich nicht die Mühe, Verachtung und Abfälligkeit aus seiner Stimme fernzuhalten. »Wieso vertraust du ihm nur? Er könnte dich in eine Falle locken!«
»Klar, nachdem er mir zweimal das Leben gerettet hat«, entgegnete sie scharf. »Denkst du nicht, dass ich bei so jemandem sicherer bin als …?«
»… als bei mir?«, vollendete er tonlos. Er drehte sich um. Ihre Worte hatten ihn sichtlich getroffen. Doch es musste sein.
»Sie werden mich suchen. Glaub mir, sie werden das nicht einfach auf sich beruhen lassen. Momentan mag ich hier vielleicht noch sicher sein. Aber erstens wird das bestimmt nicht so bleiben …«
»Und
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