Herbstfraß
sieht schrecklich makaber aus. Als Nächstes gleitet mein Blick zu meinen Schultern, auf denen sich kleine geleeartige Bröckchen zusammen mit Blutspritzern und Knochensplittern befinden. Mein Magen hebt sich. Ich beginne zu würgen.
„Alles okay, alles okay“, sagt Bo beruhigend. Er stopft sich seine P8 Combat in den Hosenbund und hält mich fest, als mein Magen krampft. Trotz reichlichen Würgens kommt nichts hoch. Der Magen ist leer. Ich spucke lediglich etwas bittere Galle aus.
Wie ist Bo an seine Waffe gelangt? Nolte hat sie ihm doch gestern abgenommen. Hatte ich eben die P8 auf meinem Rücken gefühlt? Aber geschossen hat gewiss Oliver? Oder? Ich suche Rat an der Schulter meines Mannes.
Zu Oliver gewandt sagt Bo: „Kannst du ihn von der Kette befreien? Nolte hat den Schlüssel in seiner Hosentasche.“
Der Hauptkommissar beginnt in den Taschen des Toten zu wühlen. Als er den Schlüssel gefunden hat, öffnet er rasch das eiserne Halsband. Plötzlich sitze ich bibbernd am Boden.
„Du brauchst keine Angst mehr zu haben, Dot. Es ist alles vorbei.“
Wenig überzeugt kralle ich mich an Bo.
„Mir ist kalt.“ Ich atme einmal zittrig durch. Fatal, denn schon muss ich wieder husten und der schmerzende Kopf löst eine neue Welle der Übelkeit aus. Oliver kniet neben mir nieder, zaubert einige Taschentücher hervor und beginnt mir Noltes Hirn von den Schultern zu wischen. Ich beginne zu lachen. Herrje! Ich habe das kranke Hirn dieses Psychos an mir kleben!
„Louisa ruft einen Krankenwagen. Nicht lange und du kannst dich in die Obhut von Profis begeben“, sagt Oliver und schenkt mir ein besorgtes Lächeln.
„Die Polizei, dein Freund und Helfer.“ Ich steigere mich regelrecht in das hysterische Lachen hinein, nur vom ständigen Husten unterbrochen. Über meinen Kopf hinweg tauschen Bo und Oliver einen hilflosen Blick. Das ist mir egal. Ich lache einfach weiter, bis mir die Tränen über das Gesicht laufen. Einen Moment später hängt mir Bo meine Jacke über. Dabei bemerke ich, dass seine Hände bluten. Mein Lachen verstummt schlagartig, als ich verdutzt nach ihnen greife.
„Ich habe mich geschnitten, als ich mit der Rasierklinge die Fesseln durchtrennt habe“, erklärt Bo. Ich starre ihn an, begreife überhaupt nichts.
„Okay, Dot. Komm, du musst dir etwas anziehen“, sagt er schließlich nach einem tiefen Atemzug. Oliver mustert mich mit kritischem Blick.
„Der Schnitt im Schenkel blutet ziemlich heftig. So kannst du deine Jeans nicht anziehen.“ Kurz entschlossen schlüpft er aus seinem Mantel und tauscht ihn gegen meine Softshelljacke, die Löcher in einem Ärmel hat. Im Gegensatz zu meiner Jacke ist der Mantel lang genug, um wertvolle Körperteile zu bedecken.
„Ja, das ist besser“, sagt Bo. „Louisa hat dich zwar bereits halb nackt erlebt, aber das war die weniger verfängliche Hälfte.“
„Raus hier.“ Oliver schaut ein letztes Mal zu den Leichen, die in der einen Ecke liegen. Ich sehe ebenfalls zu ihnen hinüber. Ingos Augen blicken zurück. Ihr intensives Starren ist unheimlich. Hastig wende ich mich ab.
„Ich brauche einen Baum. Ich will endlich pinkeln.“
Um Bos Mundwinkel zuckt es. Zusammen mit Oliver schleppt er mich aus dem Bunker.
13:34 Uhr
Steif wie ein Stock sitze ich unter einem Baum, denn jede Bewegung schmerzt.
„Heute Morgen habe ich mehrmals nach euch beiden gerufen.“ Louisa hält meine Finger fest umklammert. Ihr hübsches Gesicht ist sehr bleich.
„Was soll ich zuerst behandeln?“, fragt der Sanitäter und klappt seinen Notfallkoffer auf. Er hat borstiges, rotes Haar und einen polnischen Akzent. Unfähig zu antworten öffne ich mit der freien Hand Olivers Mantel und entblöße den blutenden Schnitt auf meinem Schenkel. Louisa wendet sich anstandshalber ab, ohne mich loszulassen.
„Ich dachte erst, ihr hättet mal wieder zu lange geschlafen. Dann habe ich euch oben in der Wohnung gesucht. Als ich euch nirgends finden konnte, versuchte ich euch über Handy zu erreichen“, berichtet Louisa weiter. Hamburgs liebste Bürohilfe zerquetscht mir beinahe die Finger und ich sehe, wie ihre süße Unterlippe bebt. Das Desinfektionsmittel zwackt, was aber kein Vergleich zu den zahlreichen Schnitten auf meinem Körper ist.
„Stellen Sie bitte das Bein auf, damit ich die Verletzung besser verbinden kann.“
Folgsam komme ich der Aufforderung nach. Dabei sehe ich zum Bunker hinüber, wo Polizisten rot-weißes Absperrband ziehen und die Kollegen der
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