Herbstfraß
komme mir hilflos vor, wie ich hier im Krankenhausbett liege. Allein … Nach der langen, schrecklichen Nacht und Noltes fiesem Spiel bin ich hundemüde und sollte eigentlich bis in alle Ewigkeiten schlafen. Doch ich kann nicht. Verkrampft und leicht zitternd liege ich da, starre ins Dunkel und warte – ja, auf was? Auf die Berührung von scharfem Metall auf meiner Haut? Auf die tastenden Finger dieses Psychopathen? Ich beiße die Zähne zusammen und schlucke trocken. Es hilft nichts. Ich spüre, wie sich mein Herzschlag rasant erhöht und mir der kalte Schweiß ausbricht. Panik kriecht mir Wirbel für Wirbel den Rücken hinauf, um mich im Genick zu packen und zu schütteln.
„Robin, hör auf! Du bist schließlich kein kleines Kind“, zische ich ins Dunkel. Die Selbstermahnung hilft allerdings überhaupt nicht. Zitternd taste ich nach dem Lichtschalter und drücke drauf. Sofort flammt die Deckenbeleuchtung auf und ich seufze erleichtert, als die drohenden Schatten verschwinden, die mein Bett umzingelt hatten. Als Nächstes reiße ich mir den Venenzugang heraus und werfe ihn achtlos auf den Boden. Aus dem Loch in meinem Handrücken fließt Blut, daher wickle ich ein Taschentuch fest um die Wunde. Ich brauche wenigstens eine funktionierende Gliedmaße, falls ich mich verteidigen muss. Kurz stutze ich, denn ein gesunder Teil meines Verstandes versucht mir zu erklären, dass mir keine Gefahr mehr droht. Der restliche Verstand verlangt die Sicherheit von Bos Nähe. Vorsichtig schwinge ich mich aus dem Bett, den operierten rechten Arm an die Brust gepresst. Meine Beine tragen mich nicht richtig und schnell halte ich mich am Bett fest. Die Tür zum Flur scheint plötzlich Meilen entfernt. Langsam humple ich voran, bis ich die Tür erreiche. Dort ziehe ich vorsichtshalber die Pyjamahose, die mir Louisa zusammen mit Oma Jansen gebracht hat, in die richtige Lage, bevor ich mich auf den Flur hinauswage. Niemand ist zu sehen. Lediglich ein Wagen mit einer riesigen Thermokanne und einem Stapel Tassen steht im Gang. Mühsam versuche ich mich zu erinnern, wo Bo untergebracht worden ist. Er hat das übernächste Zimmer. Aber nach links oder rechts? Ich kann mich nicht erinnern und schon kämpfe ich mit den Tränen. Zögernd wende ich mich nach links, stütze mich an der Wand ab … kalter glatter Beton … Blinzelnd halte ich inne.
Werde ich verrückt? Oder liegt das an den Medikamenten? Hinter mir klirrt es. Ketten! Mit einem Schrei fahre ich herum und gerate dabei heftig ins Schwanken.
„Wieso sind Sie nicht in Ihrem Zimmer, Herr …?“ Eine Krankenschwester steht vor mir, eine silberne Schale mit einer Spritze in der Hand.
„Berger“, antworte ich automatisch. Meine Stimme krächzt.
„Sie sollten im Bett liegen.“ Sie stellt die Schale auf den Teewagen und will mich am Arm nehmen. Ich weiche ihr aus.
„Kommen Sie. Ich helfe Ihnen zurück.“
„Ich will zu Bo.“ Störrisch wische ich ihre Hand beiseite.
„Zu wem? Um diese Zeit schläft bereits jeder. Und Sie sollten ebenfalls …“
„Ich will zu Bo!“
„Seien Sie doch vernünftig, Herr Berger. Ich bringe Sie jetzt … Was machen Sie da?“
Sie schaut irritiert auf mich herab. Ich habe mich auf den Boden gekauert und lehne zitternd an der Wand.
„Ich bleibe solange auf dem Flur sitzen, bis Sie mich zu Bo lassen.“
„Gibt es Probleme?“ Eine zweite Schwester gesellt sich zu uns.
„Der Patient will nicht in sein Zimmer“, erklärt die Erste verstimmt. Der Blick der anderen, eine kleine Rothaarige, ist deutlich freundlicher. Sie geht vor mir in die Hocke und berührt mich vorsichtig an der Schulter.
„Sie sind Herr Berger, nicht wahr? Geht es Ihnen nicht gut?“, erkundigt sie sich. Ihre braunen Augen erinnern mich an Louisa. Sie schenken mir ein bisschen Vertrauen.
„Ich habe Angst“, flüstere ich.
„Soll ich mal nachsehen, ob Herr Amundsen vielleicht noch wach ist?“
Dankbar nicke ich.
„Bleiben Sie sitzen. In einer Sekunde bin ich wieder hier.“ Sie erhebt sich, zieht die andere Schwester beiseite und ich höre sie etwas von Folteropfer sagen. Da fällt mir ein, dass die Krankenschwestern Schichtwechsel hatten. Bestimmt hatte mich die Erste nicht sofort einordnen können.
Die Rothaarige hält Wort und öffnet vorsichtig eine der Zimmertüren. Bo scheint tatsächlich noch munter zu sein, denn sie redet mit ihm. Im nächsten Moment läuft er auf mich zu.
„Dot“, sagt er liebevoll und kniet neben mir nieder. „Was machst du bloß
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