Die schöne Mätresse
PROLOG
V orsichtig schlich Emily Spenser durch den Park in der Mitte des St. James Square, wo die dichten Büsche ihr etwas Schutz vor der Kälte boten. Nach mehreren Jahren unter der unbarmherzigen Sonne Portugals erschien ihr die feuchte Morgenluft eisig, und sie zitterte trotz ihres Wollschals. Sie blieb einen Moment lang unter einem Baum stehen und beobachtete das Stadthaus auf der anderen Seite des Platzes.
War der Türklopfer entfernt worden? Aus dieser Distanz war es schlecht zu erkennen, zumal der Nebel ihre Sicht erschwerte. Die Fensterläden waren geschlossen, aber dies bedeutete nicht zwangsläufig, dass der Eigentümer des Anwesens sich nicht in der Stadt aufhielt. Schließlich war gerade erst der Morgen angebrochen.
Vorsichtig überquerte sie den Platz, wobei sie sorgfältig darauf achtete, möglichst keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die hintere Pforte erreichte. In einem so großen Haus gingen ständig Dienstboten und Händler ein und aus. Sicher würde sie mit ihrer groben Schürze und der Kappe, die sie als schlichte Dienstmagd auszeichneten, nicht auffallen.
Gedämpftes Stimmengewirr drang hinter der halb offenen Tür des Küchentraktes hervor. Emily nahm allen Mut zusammen, eilte über den verlassenen Hof vor den Ställen und trat nach kurzem Anklopfen ein.
Einige Arbeiter waren um das knisternde Herdfeuer versammelt und hielten Schalen mit dampfender Brühe in den Händen. Emily knickste vor einer älteren Frau, an deren Gürtel ein Schlüsselbund hing.
„Ich habe ein Päckchen für Seine Lordschaft“, verkündete sie und bemühte sich dabei, den breiten Akzent der einfachen Leute in Hampshire nachzuahmen, unter denen sie aufgewachsen war. „Meine Herrin wünscht, dass ich es ihm persönlich überbringe.“
„Dann musst du aber ein ganzes Stück weit laufen, Mädchen“, erwiderte die Frau lachend. „Er ist zurzeit nicht in London.“
Obwohl sie insgeheim erleichtert aufatmete, heuchelte Emily Enttäuschung. „Aber die Herrin wird sehr wütend auf mich sein, wenn ich es nicht abgebe. Wird er denn heute noch zurückkommen, Ma’am?“
„Wahrscheinlich nicht. Da er der Hälfte des Personals freigegeben hat, bis er wieder ihre Dienste benötigt, wird er wohl eine ganze Weile nicht in der Stadt sein.“
Emily konnte ihr Glück kaum fassen. „Wird er wirklich so lange fort sein?“ fragte sie verwundert.
„Aye. Letzte Woche war er noch hier, doch dann reiste er ganz plötzlich ab. Mr. Daryrumple – das ist der Butler, Mädchen – sagte uns, dass er nicht vor Ostern zurückkehrt, vermutlich nicht einmal vor dem Sommer.“
Emily verbarg ihre Aufregung hinter einer betrübten Miene. „Meine Herrin wird darüber gar nicht erfreut sein.“
„Na, na, nur keine Angst. Sie kann es dir doch nicht übel nehmen, dass du ihn nicht angetroffen hast. Sie scheint mir ein richtiger Drachen zu sein, nicht wahr?“ Die Frau gluckste vergnügt. „Nun komm, ruh dich ein wenig aus und trink eine Tasse Tee, bevor du ihr wieder gegenübertreten musst.“
„Sie sind sehr freundlich, Ma’am, aber das wage ich nicht. Die Herrin wird mir eine Ohrfeige geben, wenn ich bis sieben Uhr nicht zurück bin.“
Ein mitfühlendes Raunen war von den Anwesenden zu hören, und eine allgemeine Diskussion über die ungerechte Behandlung durch die Dienstherrschaft begann. Emily versank nochmals in einem tiefen Knicks und verließ die Küche.
Als sie aus dem Hintertor getreten war, nahm sie ihre Mütze vom Kopf und wirbelte sie lachend in die Luft.
Er war also nicht in London. Sie konnte mit ihrem Plan beginnen.
1. KAPITEL
„D u willst einen Hut für deine Mutter abholen? Meine Güte, was für ein pflichtbewusster Sohn!“ Evan Mansfield, Earl of Cheverly, hob seinen Spazierstock an und versetzte seinem Freund einen Stoß gegen den Fußknöchel. Ein überraschter Schrei folgte.
„Zum Glück war deine Mutter klug genug, das Zeitliche zu segnen, als du noch ein Kind warst“, sagte Evan. „Du hast wirklich keine Ahnung, welche Aufmerksamkeiten man einer Dame erweist.“ Er schmunzelte, als sein Freund Brent Blakesly ihm einen beleidigten Blick zuwarf. „Eigentlich wollte Mama den Hut selbst abholen, aber ich habe es ihr ausgeredet. Sie hat sich immer noch nicht ganz von dieser schrecklichen Erkältung erholt, mit der sie sich so lange herumgequält hat. Du musst natürlich nicht mitkommen. Warum gehst du nicht schon voraus zu White’s und bestellst uns einen
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