Herbstfrost
hörte sie
zu.
DREI
Leopold Gruber war ein Mensch mit bescheidenen
Bedürfnissen. Das Seniorenheim »Dr. Jirî Cermak« bot dem pensionierten
Lehrer fast alles, was er sich von einem ruhigen Lebensabend erwartete. Die
Lage des Hauses am Stadtrand von Salzburg war traumhaft, das Haus stand
ausreichend entfernt von jeder Hauptverkehrsader, und doch war man bei Bedarf
mit dem Bus in zwanzig Minuten im Zentrum. Das Essen entsprach bürgerlichem
Standard, Gruber mochte die leichte Hausmannskost, und im Übrigen war man sein
eigener Herr. Man konnte kommen und gehen, wann man wollte.
Komfort und Bewegungsfreiheit hatten freilich ihren Preis, doch Dr. Cermak
konnte es sich erlauben, teuer zu sein. Seine Dreißig-Betten-Villa hatte bis
vor Kurzem den besten Ruf genossen, und noch im letzten Jahr war die
Vormerkliste entsprechend lang gewesen.
So weit, so gut. Alles wäre Friede, Freude, Eierkuchen geblieben,
hätte sich nicht der sogenannte natürliche Abgang in
den letzten Monaten auffallend beschleunigt. Vier ausgesprochen rüstige
Senioren waren innerhalb weniger Wochen verstorben. Zwei an Herzinfarkt, einer
an Gehirnschlag und schließlich ein Diabetiker an der tödlichen Kombination von
Beinfraktur im Hochgebirge mit Insulinmangel.
Anhäufungen von tragischen Zufällen waren natürlich möglich. Gruber
zählte weder zu den Zeitgenossen, die das Gras wachsen hören, noch neigte er
dazu, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. Doch die mysteriösen Umstände,
unter denen sein Schachpartner Eberhart Gschwandtner ums Leben gekommen war,
besaßen keineswegs Insektenformat.
Der begeisterte Alpinist Gschwandtner wäre wohl kaum allein zur
Hochalmspitze in den Hohen Tauern aufgebrochen, hätte ihm sein Begleiter Egon
Scharf nicht buchstäblich im letzten Moment abgesagt. Beide saßen schon fast im
Zug nach Kärnten, da wurde Scharf zu einer Verwandten gerufen, die angeblich im
Sterben lag. Trotz des Vorfalls wollte Gschwandtner nicht auf die Tour
verzichten. Das wunderbare Bergwetter lockte zu sehr.
Man hatte ihn später am Fuß einer Wand gefunden, in die er mit seinen
siebzig Jahren normalerweise keinesfalls eingestiegen wäre. Und allein schon
gar nicht. Gschwandtner war ein Mensch gewesen, der seine Grenzen kannte.
Der ärztliche Befund besagte außerdem, dass er nicht unmittelbar an
den Folgen des Absturzes gestorben war. Wohl hatte man Kopfverletzungen sowie
Schien- und Wadenbeinfraktur festgestellt, Todesursache war aber Unterkühlung
gewesen. Zuvor hatte akuter Insulinmangel ihn ins Azidose-Koma fallen lassen,
aus dem er nicht mehr erwacht war. Die Ironie dabei: In seinem Rucksack
befanden sich zwei Ampullen Insulin und Spritzen, paradoxerweise unbeschädigt.
Ob diese Gschwandtner davor bewahrt hätten, in dem schwer zugänglichen Gelände
zu erfrieren, stand freilich auf einem anderen Blatt, denn er hatte weder sein
Funksprechgerät noch seinen Piepser bei sich. Wieder so ein Leichtsinn, der
nicht zu ihm passte. Der Piepser wurde übrigens später in seiner Garçonnière in
der Villa Cermak gefunden.
Trotz dieser Vorbehalte konnte bis dahin alles noch mit rechten
Dingen zugegangen sein. Dass aber Scharf, der verhinderte Begleiter
Gschwandtners, auf der Heimfahrt von seiner Schwester einen tödlichen Infarkt
erlitt, war schon mehr als nur ein makabrer Zufall. Und dass sich die sterbende
Schwester zudem noch bester Gesundheit erfreute, war dann endgültig der
krasseste Misston in dieser Kakophonie von Ungereimtheiten.
Das letzte Detail hatte Gruber auf eigene Faust recherchiert, bevor
er seinen alten Schulfreund anrief: den Sicherheitsdirektor a. D. Dr. Bernd
Vogt. Vogt kannte das zurückhaltende Naturell des Studienkollegen und wusste,
Gruber hätte ihn nie einer Lappalie wegen bemüht. Also ließ er seine
Verbindungen spielen und bat um diskrete Nachforschungen. Die Kriminalabteilung
des Salzburger LGK s, Referat 112, »Delikte
gegen Leib und Leben«, nahm sich der vier verdächtigen Todesfälle an – und
brachte damit eine Lawine ins Rollen.
Alles begann mit der Exhumierung Gschwandtners. Die
Gerichtsmediziner mutmaßten, dass die Handgelenke des Mannes gefesselt gewesen
seien, ehe der Tod eingetreten war. Diese Vermutung reichte aus, um das
entsprechende Kärntner Referat um einen Lokalaugenschein auf der Hochalmspitze
zu ersuchen.
Bei der Befragung des Pächters der Celler Hütte konnte der sich an
Gschwandtner erinnern. Er sei hervorragend ausgerüstet gewesen und wollte
seinem Alter und
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