Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
noch nie im Leben gewesen.
Leo bietet mir die Verwirklichung eines Traumes. Ich muss nur zugreifen.
Aber du
hast doch nie von Hollywood geträumt, Rosa Redlich!
Ja, aber
jeder träumt davon! Wie vom Sechser im Lotto, vom Urlaub auf den Malediven … Wer
davon nicht träumt, der … der ist tot. Oder?
Leo beobachtet
mein Mienenspiel. »Du sagst gar nichts?« Er sieht einen Moment lang verletzt aus.
Ich muss
doch wohl blöde sein!
»Leo, natürlich
komme ich mit dir. Ich … entschuldige, ich war nur so überrascht, weil ich … ich
hätte niemals gedacht, dass du mich das fragst.«
Basti will
mich sowieso nicht mehr!
»Hätte ich
vor Kurzem auch nicht«, gibt er zu. »Bis ich merkte, dass die Vorstellung, morgens
ohne dich aufzuwachen, mir gar nicht gefällt.«
»Ach, Leo«,
sage ich und falle ihm um den Hals. »Ich bin wahnsinnig glücklich.«
Es klingt
genau wie in einem Hollywood-Happy-End.
*
Am Montag
lädt Leo alle zu einem großen Frühstück ein. Er hat ein Berliner Nobel-Cateringunternehmen
beauftragt, uns ein Frühstücksbüfett zu zaubern. Die Tische biegen sich unter den
leckeren Käsetellern, Obstkreationen, Eierspeisen und Kuchenplatten. Es gibt knuspriges
Brot und butterzarte Croissants, dazu Kaffee, Saft und Tee in Hülle und Fülle. Alles
ist festlich dekoriert, Kellner wuseln geschäftig herum und langsam kommt in meinem
Kopf an, dass bald Weihnachten ist, und ich noch kein einziges Geschenk besorgt
habe.
Muss ich
ja auch nicht.
Denn schließlich
verbringe ich dieses Jahr das Fest zum ersten Mal in meinem Leben unter Palmen.
Wahrscheinlich werde ich im Bikini in Leos großem Pool planschen, während meine
Familie dick eingemummelt in der Kirche ›Stille Nacht‹ singt und die süße kleine
Julia aufgeregt auf den Weihnachtsmann wartet.
Weihnachtslieder
unter Palmen? Ob da überhaupt Feststimmung aufkommt?
»Hey, Rosa«,
sagt Marlene und stupst mich an. »Aufwachen! Wo bist du denn gerade unterwegs?«
»Entschuldigung«,
antworte ich. »Ich bin müde. Es war ganz schön viel Stress in letzter Zeit.«
»Trink einen
Kaffee und genieß es«, sagt sie.
Mir wird
klar, dass Marlene die glücklichste Frau unter der Sonne wäre, wenn Leo sie gebeten hätte, mit ihm nach Hollywood zu kommen.
Aber er
hat mich gefragt. Und ich habe, anstatt es zu genießen, nichts Besseres zu
tun, als darüber nachzugrübeln, wie deutsches Liedgut unter kalifornischen Palmen
klingt. Oh Mann!
Als alle
ihre Teller vollgehäuft haben, bittet Leo um Ruhe.
Er setzt zu einer kleinen Ansprache an, lobt unsere Zusammenarbeit
und sagt, dass er jederzeit wiederkommen und noch einmal mit dieser tollen Truppe
arbeiten würde.
Als er fertig ist, bekommt er einen großen Applaus. Die Kellner
haben Sektgläser verteilt und wir alle stoßen auf ihn an, auch auf uns selbst und
auf das, was wir geleistet haben.
»Noch einige Sätze zum Schluss«,
sagt Leo, nachdem wir getrunken haben.
In diesem
Moment klingelt mein Handy. Es ist mir peinlich, denn ein paar Leute gucken sich
unwillig zu mir um. Ich schnappe mir den kleinen Störenfried, um ihn rasch auszustellen.
Doch dann
sehe ich Daniels Nummer auf dem Display und mitten in mein Hochgefühl platzt der
Schock darüber, dass heute die Bagger und Abrissgeräte nach Kletzin rollen. Heute
wird das, was von Augustas kurzem Leben noch übrig ist, dem Erdboden gleichgemacht.
Niemand hat es geschafft Friedrich von Oranienbaum zu stoppen. Den ersten nicht
und den sechsten auch nicht. Mit Wucht trifft mich die Erkenntnis, wie ungerecht
die Welt manchmal ist.
Ich nehme
ab und flüstere in den Hörer. »Daniel ich kann gerade nicht. Ich bin in …«
»Du musst
aber können!«, brüllt Daniel und seine Stimme überschlägt sich fast. »Wir haben
sie gefunden.«
»Ihr habt
was?« Ich bin unwillkürlich lauter geworden. Mehrere Kollegen drehen sich wieder
zu mir um. Sie gucken schon ein wenig genervter.
»Psst!«
»Die Urkunde
und das Testament«, brüllt Daniel aufgeregt. »Wir haben sie! Heute Morgen. Vicki
hatte den entscheidenden Geistesblitz.«
»Hinter
Augustas Porträt«, sagt jetzt Vicki atemlos. Anscheinend hat sie ihrem Mann das
Telefon aus der Hand gerissen. »Rosa, du musst kommen. Wir fahren sofort hin, ja?
Bist du im Theater? Ich hole dich ab!«
»Ja, natürlich!
Ich bin dabei«, rufe ich und ohne es zu wollen, rutscht mir ein glückliches Jauchzen
heraus – mit dem Effekt, dass sich nun alle nach mir umdrehen und Leo für
einen Moment verwundert bei
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