Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Hause aus, du Nasenbär, und faaaahr
endlich!«
Oh nein! Wir sind nicht zu zweit,
als wir in Kletzin ankommen. Wir sind mindestens 200! Die ganze Auffahrt ist mit
Menschenmassen verstopft.
Wir lassen
Vickis Mini vor dem Gedränge stehen und kämpfen uns durch die Menge der aufgebrachten
Leute. Das ist ja eine richtige Demonstration!
»Was ist
hier los?«, fragt Vicki eine ältere Frau.
»Sind Sie
von der Presse?«, fragt diese zurück. »Dann schreiben Sie Folgendes: Kletzin gibt
nicht auf. Wir wollen hier keine Schweinerei und dafür kämpfen wir.«
»Wir sind
nicht von der Zeitung«, sage ich. »Aber wir haben Beweise, dass das Haus gar nicht
abgerissen werden darf und dass das Land nicht der BB-Immo-Net gehört.«
»Was sagen
Sie da?«
Im Nu verbreitet
sich unsere Nachricht wie ein Lauffeuer. Viele Hände schieben und drängen uns bis
ganz nach vorn zu dem Absperrband, hinter dem ratlose Bauarbeiter vor ihren Maschinen
stehen, auf denen aufgebrachte Kletziner Bürger sitzen.
»Ihr wollt
uns doch nicht verarschen, Mädels?«, fragt ein vierschrötiger Kerl, der einen Bagger
besetzt hält.
Vicki wirkt
etwas überfordert und deshalb übernehme ich die Wortführung. Schließlich habe ich
mich ausgiebig mit dem Thema beschäftigt. Instinktiv spreche ich so laut, dass die
meisten der Leute mich verstehen dürften.
»Die junge
Frau hier ist Victoria Graf, eine geborene von Liesen«, rufe ich. »Ihrer Urgroßtante
hat das Land gehört, bevor ihr Besitz durch … Missverständnisse und Betrug in falsche
Hände geriet.«
»Und warum
kommt sie erst jetzt?«, schreit jemand aus der Menge.
»Sie wusste
es nicht«, antworte ich. »Durch Zufall haben wir alte Papiere gefunden, die ihren
Anspruch auf das Land hier beweisen.«
»Und wer
sagt uns, dass sie nicht auch einen Schweinestall bauen will?«
»Ich«, antwortet
Vicki mit kräftiger Stimme. »Ich sage das und ich verspreche hiermit, dass ich Gut
Kletzin wiederaufbauen werde, dass der Ponyhof hier bleiben darf und dass wir dieses
kleine paradiesische Fleckchen zum Blühen bringen werden.«
Sie ist
romantisch. Ich wusste es doch!
»Also, ikke
bagger hier heute nüscht ab«, sagt der erste der Bauleute. »Det is mir zu heiß.«
»Mir ooch.«
Der Nächste knallt seine Arbeitshandschuhe auf den Boden.
»Halt! Stopp!«,
schreit da jemand und ich sehe, wie die Menge sich teilt und einem stattlichen,
großen Herrn im schicken Burberry-Mantel durchlässt. Es ist Friedrich von Oranienbaum.
»Wer bitte
sagt Ihnen denn, dass diese beiden Frauen die Wahrheit sprechen? Wer sagt, dass
sie keine Lügnerinnen sind? Wegen zwei dahergelaufener Frauen, die behaupten, es
hätte eine mysteriöse Eigentümerin gegeben, wollen Sie Strukturförderungen in Millionenhöhe
verschenken und Hunderte von möglichen Arbeitsplätze vernichten?«
Oranienbaum
steht jetzt genau vor uns. Seine blauen Augen wirken kalt wie Eiszapfen. Wäre doch
nur Daniel endlich mit dem Anwalt da! Die Menge beginnt zustimmend zu murmeln. Der
Mann hat eine überzeugende Aura. Das muss man ihm lassen.
»Die jungen
Frauen sprechen die Wahrheit«, sagt plötzlich eine alte Dame und drängt sich nach
vorn durch. »Das Gut hat vor 100 Jahren Augusta von Liesen gehört. Dafür kann ich
bürgen.«
»Davon ist
mir nichts bekannt«, sagt Oranienbaum selbstsicher. »Ich fordere Sie auf, das Gelände
zu verlassen und die Bauarbeiten nicht länger zu behindern. Im anderen Fall müsste
ich von meinem Hausrecht Gebrauch machen und die Versammlung von der Polizei auflösen
lassen.«
Wahrscheinlich
hätten wir noch lange dort gestanden und diskutiert. Vielleicht hätte sogar Herr
von Oranienbaum mit seinen Drohungen bewirkt, dass die Abrissarbeiten doch angelaufen
wären.
Aber genau
in diesem Moment teilt sich die Menge erneut. Daniel und der Rechtsanwalt sind da
und in den Händen halten sie die einstweilige Verfügung. Bis zur gerichtlichen Klärung
der Besitzansprüche dürfen keine Bauarbeiten in Kletzin stattfinden.
»Die Sachlage
ist klar«, sagt der Anwalt und schüttelte Vicki die Hand. »Haus und Ländereien gehören
Ihnen. Das kriegen wir einwandfrei vor Gericht durch.«
Wenn ich gläubig wäre, würde ich in diesem Moment auf die
Knie fallen und dem lieben Gott danken (und ich würde ihn herzlich bitten, die nächste
Rettungsaktion, die er für mich vorgesehen hat, mit etwas weniger Hang zu Dramatik
zu gestalten). Mein Herz klopft nämlich bis zum Hals.
Am Nachmittag fahren Vicki und ich
zusammen
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