Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
begrüßt.
Es ist Marlene!
Die beiden fallen sich um den Hals und drücken sich. Mir entgleisen
die Gesichtszüge. Ich dachte eigentlich, die Horrorgeschichte wäre gerade im Theater
gelaufen. Ich wusste nicht, dass es hier draußen im Foyer eine Fortsetzung gibt.
Marlene lacht sich schlapp, als sie meine entgeisterte Miene
sieht. »Na, Rosa«, sagt sie. »Da bist du platt, oder?«
Ich kann
gar nichts sagen, nicke nur und gucke (um Margrets Worte zu benutzen) wie ein Kaninchen
auf die Schlange. In diesem Moment stößt Tina zu uns.
»Sorry,
Rosa«, sagt sie. »Ich wollte es dir schon längst sagen, aber ich hatte Angst, dass
du mir den Hals umdrehst, wenn du es erfährst.«
»Was denn?«,
frage ich ängstlich.
Hat Margret
vielleicht ihre Werkstatt an Marlene verkauft und die ist ab Januar meine neue Chefin?
»Marlene
hilft seit Wochen bei Margret aus«, erklärt Tina und schaut mich belustigt an. Ich
versuche, den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. Leider klappt es nicht. »Als
du damals so fertig warst und geheult hast, da hat sie mich so lange genervt und
gefragt, was mit dir los ist, bis ich ihr von deiner alten Werkstatt und den Problemen
dort erzählt habe.«
Ich kapiere
gar nichts. Jola hat mir vor einer Weile gesagt, dass alles gut läuft und sie keine
weitere Hilfe von mir benötigt.
»Ohne Marlenes
Hilfe wäre ich nicht zur Kur gefahren«, sagt Margret. »Wenn man so will, verdanke
ich ihr, dass es mir endlich richtig gut geht. Ach ja, Rosa, das Rauchen habe ich
übrigens aufgegeben.«
»Das ist
toll«, sage ich abwesend, weil ich immer noch nicht kapiere, was hier eigentlich
gespielt wird. Marlene, ausgerechnet die Frau, die mir die Zeit am Musicaltheater
nicht gerade versüßt hat (um es mal ganz harmlos auszudrücken), hat nach Feierabend
Margret und Jola bei den Änderungsarbeiten geholfen?
Marlene
hakt sich bei mir ein und führt mich ein Stück von den anderen weg. »Ich bin eine
echte Weddinger Göre und sozusagen in ihrer Schneiderwerkstatt aufgewachsen«, erklärt
sie, und es ist das erste Mal, dass sie wie ein normaler Mensch mit mir redet und
sich auch dementsprechend benimmt. »Bei mir zu Hause, drei Etagen drüber, da war
es … na, sagen wir mal, es war nicht sehr gemütlich. Margret hatte damals schon
ihre Schneiderei im Haus und sie wusste, was bei uns los war. Ich durfte immer zu
ihr kommen, wenn mein Vater … wenn er getrunken hatte. Ich habe mich zwischen ihren
Kleidern versteckt und mir vorgestellt, dass ich eines Tages auch so eine liebe
Schneiderin sein werde.«
Na ja, den
Teil mit der Schneiderin hat sie wahr gemacht.
»Ich hatte
keine Ahnung«, sage ich. Schade eigentlich, denn es wäre schön gewesen zu wissen,
dass die unnahbare Traumfrau Marlene ein ganz normaler Mensch ist.
»Konntest
du auch nicht«, sagt Marlene. »Ich habe mich ewig nicht im Wedding sehen lassen.
Als Tina mir von den Problemen in deiner Werkstatt erzählt hat, du vor Stress weder
aus noch ein wusstest und ich kapierte, dass du ausgerechnet bei Margret arbeitest,
da war mir klar, dass ich helfen musste.«
Da haben
sich ihre und meine Wege schon zum zweiten Mal gekreuzt, stelle ich verwundert fest.
Wenn wir so viel gemeinsam haben und die gleichen Leute mögen, warum sind wir dann
beste Feindinnen geworden?
»Aber warum
…?«, setze ich an und schlucke endlich den Kloß in meinem Hals herunter. »Warum
warst du die ganze Zeit so blöd zu mir?«
Sie lacht
laut und mehrere Männer im Umkreis drehen sich nach ihr um. »Was hast du denn gedacht?«
»Leo, nicht
wahr?«
Sie nickt.
»Er … er ist es einfach«, sagt sie leise. Für einen Moment sieht sie absolut verletzlich
aus. »Ich liebe ihn, seit wir uns vor sechs Jahren in London zum ersten Mal begegnet
sind. Damals war er noch nicht so eine große Nummer wie heute und es war … es war
eine verdammt schöne Zeit.«
»Das tut mir leid«, sage ich.
»Quatsch«,
antwortet Marlene und sieht wieder hochnäsig aus wie immer. »Hättest du nichts mit
ihm angefangen, wenn du das gewusst hättest? Dem lieben Leo kann einfach keine Frau
widerstehen, und da bildest du keine Ausnahme.«
Zuerst gefällt
mir ihre Sicht der Dinge nicht. Als hätte ich gar nichts mit der Entscheidung für
ihn zu tun gehabt, sondern wäre verführt worden, wie ein kleines Mädchen vom vollen
Bonbonglas.
Aber war
es nicht tatsächlich so?
Ich wurde
verführt, und ich habe mich von Herzen gern verführen lassen!
Aber jetzt
…
Wo sind
eigentlich Basti und
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