Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
die Tiefe. Ich würde abstürzen und fallen und auf dem spitzen Gestein der Riffe aufschlagen und   … nein. Ich würde kämpfen, ich würde mich wehren. Ich würde mich diesem Monster nicht ohne Gegenwehr überlassen. Und plötzlich kam mir ein Gedanke.
    »Sie denken also, es nützt Ihnen etwas, mich um die Ecke zu bringen?« Ich bemühte mich, meiner Stimme einen sicheren Klang zu geben, und fuhr fort: »Ja, glauben Sie denn, ich wäre hierhergekommen, wenn ich nicht längst alles geregelt hätte? Ich bin im Besitz von Unterlagen, aus denen eindeutig hervorgeht, dass Sie meine Mutter um Geld – viel Geld – betrogen haben.«
    Als Antwort zischte er etwas Unverständliches und drückte mir das Messer so fest gegen den Rücken, dass es schmerzte. Dann sagte er, und seine Stimme klang süffisant: »Sie meinen Ihre schöne Liste mit den gelben Markierungen? Die habe ich doch längst   …«
    Das hatte er also den ganzen Tag über getan, während ich im Kofferraum schmorte. Das Haus nach belastendem Material durchsucht.
    So ruhig wie möglich erwiderte ich: »Selbstverständlich handelt es sich dabei nur um eine Kopie. Die Originale habe ich bei einem Rechtsanwalt hinterlegt, zusammen mit einer Erklärung, die für die Polizei durchaus von Interesse sein könnte.«
    Der Wind zerrte an meinem Haar und im Schein der Taschenlampe sah ich, dass der Bewuchs spärlicher wurde. Und das Rauschen des Meeres, irgendwo tief unter uns, deutlicher. Plötzlich stand alles ganz klar vor mir. So musste es gewesen sein, so und nicht anders.
    »In dieser Erklärung steht der Name meiner Mutter, Ihrer und eine Beschreibung des Fonds, den sie eingerichtet hatte zugunsten der Hinterbliebenden von Dr.   Sartorius’ Experimenten.Und dass ein Großteil der Leute das Geld niemals erhalten hat, dass es stattdessen von Ihnen, Herr Prohacek, verspielt wurde. Korrigieren Sie mich, wenn ich irre. Und Sie haben meine Mutter erpresst. Sie haben die Leseprobe bei dem Verlag eingereicht, nicht meine Mutter. Sie wollten ein Druckmittel gegen sie haben. Damit sie sieht, dass es Ihnen ernst ist. Und das war auch der Grund, warum sie zu einem anderen Arzt gegangen ist. Weil Sie Ihnen nicht mehr vertrauen konnte! Und Erna haben Sie auch betrogen!«
    »Sie sind ein schlaues Kerlchen«, antwortete er nur und kam näher. »Aber nicht schlau genug.«
    »Sie können sich ja wohl denken, dass ich dieses Wissen nicht mit ins Grab nehmen werde.« Ich nahm all meine Kraft zusammen und lächelte ihn an. »So weiß zum Beispiel Erna Bescheid – die Sie ja so übel verunglimpft haben. Und selbstverständlich Frau Glöckler.«
    Die Erwähnung dieses Namens schien ihn einen Moment lang aus dem Konzept zu bringen. Er blinzelte. Hinter mir konnten es nur noch ein paar Schritte bis zum Abgrund sein. Fieberhaft überlegte ich, was ich tun konnte, ihm das Messer entreißen? Aber so etwas funktionierte nur im Film. Und dann sah ich, wie er langsam auf mich zukam, eine dunkle Gestalt, die fast völlig mit der Schwärze der Nacht verschmolz. Ich stand jetzt unmittelbar am Abgrund. Urplötzlich fühlte ich einen harten Stoß, ich taumelte, tat einen Schritt rückwärts, versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, als plötzlich der Boden hinter mir aufhörte. Und dann stürzte ich.
     
    Es war eine kleine Kiefer oder Pinie, die mir das Leben rettete. Ich habe Pinien immer gemocht, sie sind für mich ein Symbol des Sommers und seiner Düfte, sie stehen für das Meer und für unendlich viel Zeit. Und genau die hatte ich nun.
    Zeit, um über den Fall nachzudenken und wie genau es kam, dass ich nicht hinabgestürzt war in die Tiefe, mit den Armen rudernd, Halt suchend und mich schließlich mehrfachüberschlagend, so wie man es aus dem Fernsehen kannte. Gefallen war ich zwar, aber nur ein paar wenige Meter weit. Wie durch ein Wunder war ich auf diesem kleinen Vorsprung aufgekommen und hatte mich reflexartig an irgendetwas festgekrallt. Und das war die kleine Pinie gewesen. Reglos hielt ich inne, wagte nicht, mich zu bewegen, aus Angst abzurutschen und wieder zu stürzen. Irgendwann lockerte ich meine Umklammerung ein wenig und setzte mich tastend und unendlich langsam zurecht, immer in der bangen Erwartung, dass das Gestein unter mir zu bröckeln anfangen könnte und ich mitsamt des Vorsprungs in die Tiefe stürzen würde. Auch fragte ich mich, ob wohl Prohacek glaubte, dass ich unten aufgeschlagen und inzwischen tot war. Oder stand er noch an der Stelle, an der er mich

Weitere Kostenlose Bücher