Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
völlig gelingt, bringt
uns auf dem Wege der Verdrängung schwere Leiden. Dies war
Hölderlins individuelles Problem, und er ist ihm erlegen. Er hat eine
Geistigkeit in sich hochgezüchtet, welche seiner Natur Gewalt antat.«
Hesses Studium und Liebhaberei wird mit den Jahren mehr und mehr
die Magie. Sie ist ihm der bildhaft betonte Geist; die von allen
Kräften der Sinne und der Seele zugleich erfüllte Phantasieform. Sie
ist ihm das Siegel und die ergreifende Energie der Geste, der
Andeutung, des Namens. Sie ist ihm eine Schutzwehr gegen die
Verkümmerung der Instinkte sowohl wie gegen ihre Verrohung. In
der Magie hat alles unbewußte Triebleben eine adäquate geistige
Form gefunden. Es gibt von Hesse eine Charakteristik »Goethe und
Bettina« (Neue Rundschau 1924), worin der alte Herr Geheimrat
kaum mehr kraxeln kann und doch die jüngsten Lebewesen noch in
seinen Bann zieht. Hesse liebt das langsame Mittelpunktwerden, das
den Mann von Weimar zu einer Zentralsonne am deutschen Himmel
gemacht hat. Bei Mozart aber liebt er etwas anderes. Hier ist es das
rosenrote Papageno-Märchen und die dunkle Glut des Teufels Don
Giovanni, den ein ewig kicherndes Kinderherz in Kontrapunktik und
Koloraturen so ganz und gar zu verstricken und zu verwickeln weiß,
daß dieser Unhold, mehr als von Blitz und Donner, von der
genialsten Tonkunst überwunden und unschädlich gemacht wird.
Der »Steppenwolf«-Roman, dieses Unikum von Dichtung, ist Hesses
jüngste und mächtigste Inkarnation. Wenn es gelänge, den Feind im
eigenen Innern zu packen und aufzulösen, die treibende vitale Kraft
auf eine plausible Formel zu bringen; wenn es gelänge, dies
leidenschaftlich unruhige, wogende, quälende, aller Sublimierung
und Zivilisierung hohnsprechende Wesen auseinanderzulegen, in
zierliche Worte zu fassen, es mit aller Gnade und allem Licht zu
durchdringen –: damit wäre etwas geschehen. Damit wäre diesem
bisher unzugänglichen, namenlosen Wesen zu Leibe gerückt. Damit
wäre für die Folge unliebsamen Überraschungen von der
Instinktseite her vorgebeugt. Damit wäre die Lebenskraft selber
entwurzelt und erschüttert; das Tier im Menschen wäre zutage
gefördert und, wer weiß, vielleicht gebrochen. Damit wäre ein
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dämonisches
Urbild
gehoben,
und
einer
Unsumme
von
Beängstigungen, von Hysterien, von schillernden Sophismen wäre
der Weg verlegt. Damit wäre ein Humor ermöglicht, der mehr zu sein
vermochte als anstellige Verlegenheit und gute Miene zum bösen
Spiel.
Es gibt neben dem Idylliker und Asketen einen robusten,
veitstänzerischen, flagellantischen Hesse. Es gibt neben dem
schwermütigen Dichter des »Demian« einen überschäumenden,
girrenden, tönenden Klingsor, der über zehn Leben verfügt. Es gibt,
seit dem »Steppenwolf«, einen Hesse, dem der Furor Teutonicus so
gut bekannt ist wie der kleine schmachtende Pennäler. Er weiß die
Harfe zu schlagen, daß sie unheimlich surrt und dröhnt, nachdem sie
vergebens gesäuselt und gesungen hat. Der Wolf (auch in Wolfgang
Amadeus und in Johann Wolfgang) ist ein Raubtier, das über scharfe
Augen und Ohren und über ein respektables Gebiß verfügt. Rehen,
Gänsen und Hasen, Eseln ebenso, ist dieses Tier sehr gefährlich. Es
gibt, vor seinen geschärften Sinnen, keine intellektualistischen
Kunststücke und mogelnden Flausen –: das ist der Ernst dieses
Romans. Sein Spaß aber ist: daß dieses weltfremde Wesen noch mit
fünfzig Jahren viele graziöse Steps hat tanzen müssen, ehe es
imstande war, als ein richtiger Steppenwolf ein wenig Munterkeit in
die literarische Zunft zu bringen.
Vor diesem wohlgebauten Steppenwolf verfangen keine falschen
Geburtstagstiraden. Nur der heilige Franz selber könnte ihn
bekehren. Daß solch ein mythologisches Untier sich mitten in
unserem modernen Leben mag blicken lassen, das deutet auf eine
Zeit, in der man die Kunst der Liebe und der Begütigung, die
verstehende menschliche Kunst, nur noch gedruckt, nur schwarz auf
weiß noch zu finden vermag. Gleichwohl: in diesem männlichen,
ernsten Buche ist, mit negativem Vorzeichen, die Romantik noch
einmal. Hier ist die Mystik unseres Görres und die Welt des alten
Brognoli. Mag man ach und weh und vielleicht Schlimmeres rufen;
gleichwohl: hier ist der Versuch, die zusammengefaßten und auf eine
glückliche Formel gebrachten Dämonismen unserer Zeit abzustoßen,
um Raum zu gewinnen für alle Güte und unbehinderte Höhe. Hier
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