Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
und
Umgebung. Wollte man eine besondere Reihe von Schriften
ähnlichen Charakters aus Hesses Werken zusammenstellen, so
würden in die Nähe des »Bilderbuches« auch der »Knulp«, die
»Wanderung«, der »Kurgast« zu stehen kommen, und es würde
diese Reihe sozusagen die apollinische, die helle, die Augenwelt des
Dichters bezeichnen. Sie würde den nach außen gerichteten
Künstler, den Mann des Metiers, den Maler und Schilderer zeigen,
nicht aber den Problematiker. Die Konflikte des eigenen Innern sind
hier nicht Ziel der Darstellung, wenn sie die Umwelt auch spiegelt.
Noch der »Kurzgefaßte Lebenslauf« (Neue Rundschau 1925) zeigt
den Dichter mit seinem eigenen Werke beschäftigt. Im
»Kurzgefaßten Lebenslauf« gab Hesse ein überraschend neues
Gesamtbild seiner Person. Ich habe diese Selbstdarstellung vielfach
als Richtschnur benutzt; vielleicht hätte ich sie noch inniger zitieren
sollen. Sie zeigt den Dichter energisch bemüht, mit dem
renommierten »bürgerlichen Schriftsteller Hesse« der Vorkriegszeit
aufzuräumen. Er sucht Raum und Verständnis zu schaffen für seine
Schriften seit »Demian« (1919). Hier, im »Lebenslauf«, ist es Hesse
gelungen, eine Einheit von Werk und Person durchzuführen. Es ist
nicht mehr der Moralist und der Klassiker, von denen er ausgeht, er
betont eher umgekehrt den Immoralisten, und statt der Harmonie
die Dissonanz. Der Akzent liegt unvergleichlich mehr als in der
»Vorrede« und im »Bilderbuch« auf der Phantasie und dem
Fingieren. Als Inbegriff dieser Fähigkeiten erscheint die Zauberei,
und damit das Märchen, die Legende, die Sage, die Deutung. Die
Bücher der Frühzeit werden unglimpflich fast übergangen; das
Interesse ist auf die Zukunft gelenkt (Fortführung der Biographie bis
zum Jahre 1930).
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Es ist nach diesem Lebenslauf nicht gut mehr möglich, zu wünschen,
Hesse möchte auch ferner so angenehm artige Bücher schreiben, wie
er sie früher einmal geschrieben hat. Und schon ist heute auch dieser
»Lebenslauf« durch Werke wie »Kurgast« und »Steppenwolf«
überholt; denn jeder intensivere Beobachter und Leser der
letztgenannten Bücher vermißt im Lebenslauf die Einbeziehung jener
Konflikte, die Hesse selbst als solche einer typischen Neurose des
geistigen Menschen unserer Zeit bezeichnet. Dieser Gesichtspunkt
war für den Dichter zur Zeit der Abfassung des »Lebenslaufes«
offenbar noch nicht spruchreif. Die stets aufs neue überraschenden
Gegensätze und Wandlungen, in denen sich Hesses Werk bewegt,
sind wohl angedeutet; sie sind aber noch nicht Ausgangspunkt der
Selbstdarstellung, und sie müßten dies sein, um die spezifische
Leistung im rechten Lichte erblicken zu lassen.
Hesse bezeichnet es einmal als das Geheimnis aller großen Kunst, zu
bezaubern durch das geheimnisvolle Zusammenarbeiten einer
ungewöhnlichen Geistigkeit mit einer ebenso ungewöhnlichen
Sinnenkraft. Beide Pole, die Geistigkeit und die Sinne, sind bei Hesse
ungewöhnlich entwickelt. Nur eben nicht, wie beim geborenen
Harmoniker, in ihrer Zusammenarbeit, sondern gerade in einer
Spinnefeindschaft. Der Bekenner und Moralist bekämpft den
Phantasten und Schauspieler, der Asket den »Wüstling«, der Ritter
und Held den Bürger, der Einsiedler und Marsbewohner den Mann,
der sich nach Freundschaft, Liebe und Geselligkeit sehnt; und
schließlich: der zur Selbstvernichtung geneigte Problematiker den
Lobsänger einer paradiesisch lockenden und ewig bestrickenden
Natur.
Von Kindheit an ist der Dichter vor einen Kampf mit zwei Fronten
gestellt. Er ist, seiner besonderen Herkunft entsprechend, genötigt,
die geistige Sphäre auszudehnen, um auf der Höhe der Zeit und der
modernen, sehr summarischen Kultur zustehen. Und er ist auch
genötigt, den Sinnen Raum zu schaffen; denn der Dichter braucht
unbehinderte, harmlose, freie Sinne, um gedeihen zu können, und
abermals: um in einer sehr vorurteilsfreien Zeit überhaupt
vernommen zu werden. So gilt es, nach zwei Seiten ununterbrochen
zu arbeiten, sich loszulösen, sich aufzutrennen und eine sinnliche
und geistige Ideologie zu finden, die auf der Höhe der Zeit steht.
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Aber sie soll auch eine trotz allem edle und hochgeartete Herkunft
nicht völlig desavouieren, denn das hieße sich entwurzeln. Daß
einem solchen Bemühen in der wilhelminischen Ära Gesellschaft und
offizielle Erziehung nicht eben entgegenkamen, verschärft jede
Schwankung.
1919 erschien im Verlag Tal &
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