Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Co. ein Büchlein »Kleiner Garten«,
das, wenig beachtet, einige Erzählungen, teilweise noch aus der
Gaienhofener Zeit, enthält. Darin findet sich jene hübsche Novelle
vom »Tod des Bruders Antonio«, der ein franziskanischer Mönch ist,
aber auf dem Totenbette die Käfer, die Bienen und den Ziegenhirten
über alles Glück der Exerzitien und der Ordensregel preist. Hart
daneben findet sich die ebenso hübsche »Legende vom Feldteufel«,
der in der ägyptischen Wüste die Ureinsiedler Antonius und Paulus
umstreift, weil er, von der Zivilisation aus wohligeren Gefilden
verwiesen, gar gerne ein Gottesstreiter wie die großen Wüstenväter
werden möchte. Und es findet sich im selben Bändchen eines der
schönsten und schmerzlichsten Stücke, die Hesse geschrieben: »Ein
Stück Tagebuch« (1918 entstanden).
Noch dieses Stück Tagebuch zeigt den Dichter auf der Spur nach
einem Vorbild; und es zeigt, daß er an der Möglichkeit einer
Selbsterziehung gerade während des Krieges mitunter verzweifelte.
»Unter anderem«, so heißt es da, »sah ich den Staretz Sossima aus
den Brüdern Karamasow als Vorbild und Lehrer auftreten. Aber jene
mütterliche Urstimme, ewig und immer neu gestaltet, widersprach
jedesmal... Vorbilder sind etwas, was es nicht gibt; was du dir nur
selber schaffst und vormachst. Vorbildern nachstreben ist Tuerei...
Leide nur, mein Sohn, leide nur und trinke den Becher aus!« Das
Leiden also ist der sicherste Wegführer. Es läßt Vorbilder entbehrlich
erscheinen; man bleibt damit in der Herznähe der Dinge. Und dann
will der Dichter wohl sagen, daß das Leiden in die Nähe der Heiligen
rückt und daß es in einer Zeit der geistigen Desperation wie der
unsern, der einzige Führer zum Absoluten ist. Denn er hat, nach
durchquälter Nacht, im Frühschimmer einen Traum:
»In einem leichten Morgenschlaf erlebte ich einen Heiligen. Halb war
es so, daß ich selbst der Heilige war, seine Gedanken dachte und
seine Gefühle empfand; halb auch war es, als sähe ich ihn als einen
zweiten, von mir getrennt, aber von mir durchschaut und innigst
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gekannt. Es war, als erzähle ich mir selbst von diesem Heiligen, und
es war zugleich auch so, als erzähle er mir von sich oder als lebe er
mir etwas vor, das ich wie mein Eigenstes empfand...« Dieser Heilige
»schloß die Augen und lächelte, und in seinem kleinen Lächeln war
alles Leid, das sich irgend ersinnen läßt, war das Eingeständnis jeder
Schwäche, jeder Liebe, jeder Verwundbarkeit...«
Aber in der Klingsorzeit ist dieser Traum wieder zerstoben. Hesse
leuchtet nach den giftigen Kriegsjahren seine innere Welt ab und
findet Gnade und Mord geschwisterlich nebeneinander. Läßt sich die
göttliche Einheit im Innern noch aufrechterhalten? Dostojewski
versuchte es, sie zu behaupten, indem er den »menschlichen Kern«
im Verbrecher hervorhob. Hesse in »Klein und Wagner« zeigt einen
Erkrankten, einen zu Tod Erschrockenen, der sich ertränkt. Sie kann
also nicht richtig sein, die Lehre von der Einheit der Gegensätze.
Gerade seine psychoanalytischen Studien mußten dem Dichter
erweisen, daß die romantische Lehre von der »natürlichen Güte« des
Menschen nicht unbedingt könne richtig sein.
Es fanden sich im Seelengrunde eingegraben gute und böse Bilder,
göttliche und infernalische; man konnte die einen und die andern
stärken. Die Analyse zeigte eine Welt nicht nur der verdrängten
Poesie und Natur; sie zeigte ebenso tief eine Welt der verdrängten
Perversion und Unnatur. Jedenfalls aber zerstörte sie gründlich das
alte idyllische Naturbild eines Rousseau und sogar den divinen
Naturbegriff eines Goethe. Bereits in »Gertrud« (1910) kann man
lesen, daß das Leben nichts wert ist. »Das Leben war launisch und
grausam, es gab in der Natur keine Güte und Vernunft.« Güte und
Vernunft waren nur im einzelnen Menschen zu finden, und selbst in
ihm nur zufällig, nur für Stunden. Wie würde es sein, wenn dieser
Glaube eines Tages einen Stoß erlitte? Wäre die Welt dann nicht ein
vollkommenes Chaos?
Sodann der Gegensatz zwischen Klingsor und Siddhartha, und der
Siddhartha-Schluß. Diese Schlußlehre war ein Weiterspinnen der
Entdeckung aus »Klein und Wagner«. Dort führte der Gegensatz von
Mord und Gnade zum Selbstmord; die Gnade war also mächtiger als
ihr Feind. Im »Siddhartha« nun sind die Gegensätze zur Illusion
geworden, weil jedes Ding in sein Gegenteil sich zu verwandeln
vermag. Man
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