Herr der Krähen
zur Errettung verletzter Körper. Ich weiß nicht, was besser oder wichtiger ist. Aber eines weiß ich: Menschen haben die Freiheit zu entscheiden, was sie mit den Gaben anfangen, die Gott, die Natur, die Sonne, das Schicksal – nenn es, wie du willst, ich meine die transzendentale Kraft, von der du behauptest, sie bestimme das Leben – ihnen gegeben haben. Ob sie sie zum persönlichen Heil oder zur kollektiven Befreiung einsetzen wollen.“
Das war keine Frage, doch wieder wand sich Kamĩtĩ unter dem, was es beinhaltete.
„Wenn ich in die Ferne der Zeit schaue, dann sehe ich nur Finsternis, Nebel, Rauch, nichts Klares, Eindeutiges. Nyawĩra, ich rieche Tränen und Blut …“
„Wessen Blut und Tränen?“
„Ich weiß es nicht genau. Ich will dich und deine Freunde nicht bitten, eure Pläne zur Störung der Zeremonie auf dem Bauplatz von Marching to Heaven aufzugeben. Aber was mich betrifft, fühle ich mich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Ich will immer noch hören, was mir die Tiere, Pflanzen und Berge zu sagen haben. Ich muss mich erst selber finden.“
„Wir“, sagte sie jetzt im Aufstehen, „wir sehen in Marching to Heaven eine Maßnahme, die unsere Erde in eine Hölle verwandelt, und wir haben beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.“
Sie sammelte ihre Sachen ein und wollte gehen. Die Streichhölzer, den Wassertopf und den Topf ließ sie zurück.
Dann fiel ihr plötzlich etwas ein, das sie die ganze Zeit nicht angesprochen hatte.
„Sag mal, was ist eigentlich aus den drei Säcken Geld geworden? Was hast du mit ihnen gemacht? Oder vielmehr mit dem Geld?“
„Ich habe es vergraben“, meinte Kamĩtĩ erschöpft.
„Du hast das Geld vergraben?“, fragte Nyawĩra, als hätte sie ihn nicht richtig verstanden. „Du hättest es uns überlassen sollen!“, setzte sie hinzu. „Die Bewegung hätte das Geld im Kampf gegen diese Verbrecher gut gebrauchen können.“
„Ich sage dir, wo es liegt. Es gehört dir. Aber ich warne dich: Dieses Geld ist verflucht.“
„Es gibt kein Geld, das gesegnet oder verflucht ist“, erwiderte Nyawĩra. „Das hängt allein davon ab, wofür man es verwendet“, fügte sie hinzu und zögerte plötzlich.
Ihr fiel ein, dass die drei Säcke mit Geld sie an jenem Tag fast das Leben gekostet hatten, als sie ins Büro zurückgekommen war, um ihre Handtasche zu holen, und in den Lauf von Tajirikas Pistole gerannt war. Die drei Säcke hatten den Weiß-Wahn bei Tajirika ausgelöst.
„Vergiss das Ganze“, meinte sie. „Ich will nicht einmal wissen, wo es ist. Unsere Bewegung glaubt mehr an das Handeln der Menschen als an das Geld, das sie geben. Überlassen wir die Geldsäcke den roten Ameisen und Termiten. Es wird Zeit, dass ich in mein Versteck in der Stadt zurückkehre.“
„Die Sonne geht gleich unter. Warum bleibst du nicht noch die Nacht und brichst am Morgen auf, damit du bei Tageslicht durch das Grasland gehen kannst?“
„Nein, ich gehe sofort. Ich muss morgen früh zur Arbeit.“
„Dann begleite ich dich durch die Prärie“, bot Kamĩtĩ an.
„Nein, nein. Lass mich das allein machen. Dadurch lerne ich sie besser kennen. Außerdem sind die wilden Tiere der Prärie weniger grausam als die bestialischen Menschen, die Marching to Heaven vorantreiben.“
„Aber brich nicht alle Brücken hinter dir ab. Wie lautet das Sprichwort? Man kann sich an Orten wiederfinden, von denen man glaubt, sie längst hinter sich gelassen zu haben. Ich bin jetzt Bewohner des Waldes. Solltest du je zurückkommen, dann leg ein Stück Tuch hier in die Höhle oder auf irgendeinen Felsen im Wald, und ich bin sicher, dass ich dich finden werde.“
„Danke, aber ich habe nicht die Absicht, in naher Zukunft hierher zurückzukehren. Eldares braucht uns.“
Schweigend gingen sie bis zum Fuß der Berge, wo das Grasland begann. Kamĩtĩ sah Nyawĩra nach, wie sie die weite Ebene durchquerte, bis sie von der Akazie in der Ferne nicht mehr zu unterscheiden war.
D R I T T E R T E I L
1
Wochen später, als Nyawĩra schon auf der Fahndungsliste der Polizei stand und im ganzen Land mit dem Befehl des Herrschers, sie tot oder lebendig zu fangen, gesucht wurde, waren besonders ihre Kenntnisse des Graslandes hilfreich für sie. Während sie allein im Dunkeln, nur mit den Kleidern, die sie in der Arbeit getragen hatte, und ihrer Handtasche die Prärie durchquerte, ging ihr Kamĩtĩs Mahnung durch den Kopf, nicht alle Brücken hinter sich abzubrechen.
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