Herr der Krähen
ich meine den Polizisten, der uns an diesem Abend durch das Grasland gejagt hat? Arigaigai Gathere. A.G. ! Was für ein Name! Arigaigai! Hast du schon mal einen solchen Namen gehört? A.G. hat mich zur Zauberei gebracht. Wegen meiner eigenen Schwierigkeiten habe ich alles bereitwillig getan. Am Anfang war ich der Meinung, dass ich nur kurz diese Rolle spielen muss. Ich war stolz, nicht ein einziges Mal Zauberei verabreicht zu haben, die anderen geschadet hat; ich habe meine Kunden nie wirklich belogen. Und ich habe die Zaubertricks auch nie benutzt, um meine Kunden zu beeindrucken. Ich habe mit Gedanken und Bildern gearbeitet, die sie in ihrem eigenen Kopf hatten. Trotzdem habe ich vorgegeben, jemand zu sein, der ich nicht bin. Habe ich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geheilt? Stell dir vor, du gehst zum Arzt und erfährst hinterher, dass er überhaupt keine Ausbildung hat, keine Zulassung? Ich war ein Quacksalberheiler. Aber darum geht es nicht. Meine Weissagungen entstanden aus der Lust am Bösen. Nimm Tajirika und Konsorten: Habe ich ihm nicht neues Leben eingehaucht und sein Zutrauen ins Böse gestärkt? Fühlt er sich jetzt, geschützt von der Magie, nicht erst ermutigt, ungestraft zu rauben? Hat meine Weissagung seine Diebstähle überhaupt erst ermöglicht? Ich war Komplize genau des Bösen, das mich mit Abscheu erfüllt.
Vielleicht unterlag ich anfangs der Illusion, einer oder zwei könnten den Weg zu mir finden, unerschrocken genug, sich einzugestehen, dass sie auf Abwege geraten waren, und zu sagen: Ich trage an einem Makel, hilf mir, ihn abzulegen. Das hätte meiner Rolle etwas Wert verliehen. Aber sie wurden alle von Hass und Gier getrieben.
Sie waren nur an zwei Dingen interessiert: mächtiger zu werden und ihre Rivalen zu vernichten. Und was die Gier angeht, war einer der Klon des anderen. Ihre Gier stank zum Himmel. Sogar wenn ich ihnen Fragen nach ihren Beschwerden stellte, kroch ihnen der Gestank des Bösen und der Gier aus jeder Pore und machte mir das Atmen schwer. Eine Zeit lang gelang es mir, diesen Geruch auszuhalten, weil ich noch den Blumenduft roch, den du zurückgelassen hast. Aber Tajirikas innere Fäulnis war schlimmer als alles, was ich je zuvor erlebt habe: ein Schwarzer, der seine eigene Negation feiert. Diesen letzten Schwall verpesteter Luft konnte ich nicht ertragen.
Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, aber irgendwann fand ich mich draußen vor der Tür wieder. Der Gestank hing immer noch an mir. Ich bekam Panik. Immer wenn ich hinaus ins Freie gegangen bin, konnte ich ihren Gestank loswerden und frische Luft atmen. Das gelang jetzt nicht mehr. Ich brach zusammen. Als ich wieder zu mir kam, wollte ich nicht in den Schrein zurück. Aber ich zwang mich zurück ins Haus, um dir den Brief zu schreiben. Ich hatte einen Entschluss gefasst.“
„Und welchen?“, fragte Nyawĩra.
„Eldares zu verlassen. Die menschliche Gesellschaft hinter mir zu lassen und in die Wildnis zu ziehen.“
„Was hast du mit der Zeile ‚Ich gehe, um mich selbst zu finden‘ in deinem Brief gemeint?“, fragte Nyawĩra nach.
„Ich will nicht behaupten, in dem Augenblick, als ich den Brief schrieb, alle meine Gedanken in Worte gefasst zu haben. Zuallererst wollte ich dem Gestank entkommen. Ich habe dir erzählt, dass ich das Gefühl hatte, der Gestank würde mir folgen, als ich nach draußen ging. Als würde er mir in die Kleider, den Körper und in mein ganzes Wesen dringen. So hatte ich mich noch nie gefühlt. Ich habe mich gefragt: Wenn ich anfange, zu stinken wie sie, was unterscheidet mich dann noch von ihnen?“
„Und diese Fäulnis, von der du so bewegend sprichst – was, meinst du, wird ihr ein Ende bereiten?“
„Die Angelegenheiten des Volkes sind mir eine zu schwere Last.“
„Hast du nicht selber gesagt, dass die Bedürfnisse der Mehrheit mehr als die Arbeit eines Einzelnen erfordern? Heißt es nicht genau deshalb, viele Hände machen die Arbeit leicht?“
„Ich will einfach hier in der Wildnis bleiben, um mich selbst zu finden. Ich will herausfinden, was ich wirklich vom Leben erwarte. Vielleicht ist es das Blut des Jägers, das sich in mir regt.“
„Du meinst, es sagt dir, dass du vor dem Volk davonlaufen sollst? Um dich selbst zu heilen?“
„Man muss sich selbst gefunden haben, bevor man versuchen kann, anderen zu helfen.“
„Chirurgen operieren sich nicht selbst. Und unser Volk sagt, dass selbst der beste Barbier jemanden braucht, der ihm die Haare
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