Herr der Krähen
schneidet. Um ein Feuer anzuzünden, braucht man Zunder und Streichhölzer. Die Probleme des Landes sind unsere eigenen. Niemand vermag sie allein zu schultern. Wir können nicht davonlaufen und alles den Ungeheuern und Skorpionen überlassen. Es ist mein Land. Es ist dein Land. Es ist unser Land. Und außerdem kannst du in Aburĩria nirgendwohin davonlaufen. Wie du selbst gesagt hast, sogar diese Wälder werden von der Gier der Mächtigen bedroht.“
„Und was soll ich tun? Weiter weissagen?“, fragte er, als wiederholte er eine Frage, die er sich selbst bereits gestellt hatte.
„Die Fähigkeit zum Weissagen ist eine Gabe. Selbst wenn ich mir noch so große Mühe geben würde, könnte ich die Fälle trotzdem nicht mit der Weisheit regeln, die ich bei dir erlebt habe. Es ist, als ob du den Menschen in die Herzen sehen und ihre Gedanken lesen könntest. So, wie du das bei Vinjinia und Tajirika getan hast. Wer wäre je auf den Gedanken gekommen, dass Wünsche dem Körper und der Seele so zusetzen können. Und was das für eine Heimsuchung war! Ein Weiß-Wahn, der so tief saß, dass er fast seine Firma verloren hätte!“
Kamĩtĩ schaute weg und blickte auf die Berge in der Ferne.
„Was hast du?“, fragte Nyawĩra unruhig.
Kamĩtĩ antwortete nicht sofort. Langsam drehte er sich um und sah Nyawĩra wieder ins Gesicht.
„Nichts“, antwortete er. „Wirklich nichts, aber ich hoffe sehr, dass wir eines Tages über alles reden können …“
„Wir können jetzt reden“, sagte Nyawĩra aufmunternd, „sogar über das, was du als Nichts bezeichnest. Hast du mich nicht vorhin gefragt, was ein Einzelner tun kann? Dann will ich dir eine Frage stellen. Wenn du siehst, wie ein Erwachsener einem Kind mit Gewalt das Essen wegnimmt, würdest du einfach dastehen und zusehen?“
„Nein. Was willst du?“, fragte Kamĩtĩ. „Du bist nicht gekommen, um mit mir zusammen zu sein.“
„Marching to Heaven wird unser Land verschlingen. Wo werden wir dann Schutz vor Regen und Sonne finden? Es wird den Durstigen das Wasser und den Hungrigen das Essen vom Mund stehlen. Unser Land wird von Skeletten bevölkert sein. Wie sollen wir Körper, Herz und Geist unserer Nation zurückbekommen?“
Nun erzählte Nyawĩra ihm von den Geheimplänen des Herrschers: dass ein Tag bestimmt worden war, an dem ein Bauplatz für Marching to Heaven geweiht werden sollte. Sie berichtete ihm von der verhängnisvollen Absicht des Staates, die Warteschlangen in Eldares zu nutzen, um die Vertreter der Global Bank davon zu überzeugen, das Volk stünde in vollem Umfang hinter dem Projekt.
„Wir haben in der Bewegung eine Zeit lang überlegt, gegen die Warteschlangen zu protestieren, aber sieht man sich die Arbeitslosenzahl im Land an, wird ganz schnell klar, dass wir keine Chance haben, diese Manie zu stoppen. Wir werden also eine Protestschlange bilden. Alle Männer und Frauen in Aburĩria müssen im Protest gegen diesen Wahnsinn von Marching to Heaven zusammenstehen. Gegen das Recht der Macht setzen wir die Macht des Rechts. Wir möchten, dass du dich uns anschließt. Setz deine gottgegebene Kraft zur Weissagung ein, um dem Volk und der Bewegung zu helfen.“
Kamĩtĩ stand auf und starrte erneut über die Hügel in der Ferne. Als er sich wieder zu ihr umwandte, strahlten seine Augen, wie Nyawĩra es noch nie gesehen hatte. Es war ein Leuchten, das eher Trauer als Freude ausstrahlte, das Leuchten in den Augen eines Menschen, der mit einem Wissen belastet ist, das er lieber nicht hätte. Er setzte sich neben Nyawĩra und legte ihr den Arm um die Schulter. Nyawĩra spürte ein Zittern durch ihren Körper gehen, als sie jetzt auf seine Antwort wartete.
„Die Wahrheit ist, dass mich etwas anderes aus Eldares vertrieben hat als der Gestank der Korruption“, fing Kamĩtĩ an. „Es war eine Kombination aus verschiedenen Ereignissen, die mich gezwungen hat, in mich hineinzuschauen, und ich habe kein klares Ziel in meinem Leben gesehen. Das einzige hatte darin bestanden, mich zu bilden und nachher viel Geld zu verdienen, um die Aufopferung meiner Eltern wiedergutzumachen. Du weißt, dass dies der Grund war, warum ich Betriebswirtschaft als Hauptfach gewählt habe. Die Ironie war nur, dass ich nie das Gefühl hatte, mir ein Leben in der Geschäftswelt zu wünschen, obwohl ich im Studium recht gut war.
In Indien, während meines Studiums der Heilkraft von Pflanzen, hatte ich die verschwommene Vorstellung, einmal als Arzt verletzter Seelen zu
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