Herr der Krähen
reden hören.
Wie er sich doch wünschte, genau zu wissen, an welchem Tag und zu welcher Stunde der Herrscher und sein Gefolge zurückkehrten! Tajirika hatte keine Wahl. Ihm blieb nichts anderes, als abzuwarten, bis Sikiokuu ein Angebot machte oder Machokali aus Amerika zurückkam. Egal, was zuerst eintrat.
An einem späten Abend öffneten die Wärter die Zellentür, stießen einen Mann herein und schlossen wieder ab. Tajirika blieb still in seiner Ecke sitzen und lauschte angespannt den Atemzügen seines Mitgefangenen. Nach einer Weile – er konnte das Schweigen nicht länger ertragen – fragte er: „Wer bist du?“ Aber der Mann antwortete nicht.
Vielleicht ist er ein Mörder, den man heimlich um Mitternacht hierhergebracht hat, damit er dir etwas antut, sprach eine innere Stimme zu Tajirika. Kalter Schweiß brach ihm aus und er begann zu zittern. Als die Spannung unerträglich wurde, zeterte er:
„Bring mich nicht um. Ich flehe dich an, bring mich nicht um. Ich habe nichts verbrochen. Gnade. Ich habe Frau und Kinder. Bitte vergieß für Geld kein unschuldiges Blut. Egal, was sie dir gegeben haben, ich verspreche dir, du bekommst das Doppelte.“
„Schscht!“, gab der Mann zurück, aber Tajirika war so mit sich beschäftigt, dass er es nicht hörte.
„Wie viel haben sie dir gegeben?“, fragte Tajirika und wartete auf eine Antwort.
„Wofür?“, fragte der Mann.
„Mich umzubringen?“
„Warum sollte ich dich umbringen wollen? Ich kenne dich nicht. Ich habe dich noch nie gesehen.“
„Genau das will ich dir ja klarmachen. Ich bin unschuldig. Ich habe keiner Seele etwas zuleide getan.“
„Dann hast du nichts zu befürchten. Ich werde dich nicht töten“, sagte der Mann.
„Was hast du gesagt?“
„Sei still. Ich werde dich nicht töten.“
„Danke, mein Retter. Wie viel willst du?“
„Warum soll ich Geld von dir wollen?“
„Weil du mich verschonst. Weil du mich leben lässt.“
„Wer hat dir erzählt, dass ich hier bin, um dich zu erledigen?“
„Wer bist du dann? Warum haben sie dich hergebracht?“
„Hör zu“, sagte der Mann verärgert. „Ich habe keine Ahnung, wer du bist. Und ich bin nicht in Stimmung, mich zu unterhalten. Schlaf jetzt und lass mich auch schlafen“, sagte der Mann und schwieg.
Aber Tajirika fand das anhaltende Schweigen des Mannes beunruhigend. Der tut nur so. Der will mich in den Schlaf schaukeln und dann umbringen.
„Glaub ja nicht, dass du mir etwas vormachen kannst“, sagte Tajirika.
„Warum?“, fragte der Mann.
„Ich weiß genau, du willst, dass ich einschlafe …“
„Bist du nicht bei Trost?“
Trotz der Provokationen Tajirikas verweigerte der Mann den Rest der Nacht jede Antwort, was Tajirikas Verdacht nur bestätigte, Sikiokuu wolle ihn tot sehen. Er machte kein Auge zu. Das Morgengrauen fand ihn, wie er in die Ecke starrte, in der der andere lag.
Keiner von beiden traute seinen Augen.
„Titus Tajirika!“
„Herr der Krähen!“
13
Tajirika war außer sich vor Freude, jemanden vor sich zu haben, der die Macht hatte, ihn aus dem Gefängnis zu befreien. Nichts lag außerhalb der Möglichkeiten des Herrn der Krähen, der vielleicht sogar gekommen war, um Tajirikas Qualen endlich zu beenden. Tajirika machte sich gar keine Mühe herauszubekommen, was der Herr der Krähen hier eigentlich wollte und wie er hergekommen war.
Er redete sich einfach von der Seele, was er erlitten hatte, seit er die Vorladung vor Kaniũrũs Untersuchungsausschuss zum Schlangenwahn erhalten hatte. Er berichtete von seiner Inhaftierung, den Verhören durch Njoya und Kahiga, seiner Begegnung mit Minister Sikiokuu in dessen Büro und der Rückkehr in die dunkle Zelle. Das Einzige, das zu erzählen er sich nicht durchringen konnte, war Vinjinias schändlicher Verrat, vor allem, wie sie sich für Bilder mit tanzenden Frauen hergegeben hatte.
„Schauen Sie sich an, was Sikiokuu mir angetan hat! Sehen Sie den Kübel da? Das ist die Toilette. Wann haben die den das letzte Mal geleert? Vor einer Woche! Zum Glück muss ich nicht oft scheißen. Und trotzdem ist der Kübel fast voll.“
„Nur von dir?“
„Ja. Seit ich hier bin, war niemand anderes in dieser Zelle. Wie kann er es wagen, mir so etwas anzutun? Was soll ich dagegen tun?“
„Was glaubst du?“
„Kennen Sie das Sprichwort: Wenn zwei Elefanten kämpfen, muss das Gras leiden? Ich fühle mich wie das Gras beim Kampf zwischen Sikiokuu und Machokali um die Macht hinter dem Thron. Das Problem ist,
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