Herr der Krähen
Red River zu füttern.“
Das Auto beschleunigte. Nach ungefähr einer Stunde hielt es an, und drei Männer zerrten sie aus dem Wagen. Sie befanden sich im Busch, und trotz des Mondlichts war es ziemlich dunkel. Die Männer schleppten sie über eine Lichtung zum Fluss. Kaniũrũ und der Fahrer folgten ihnen. Am Ufer des Flusses, der jetzt im hellen Mondschein lag, sah sie Krokodile, die im Schilf ihre hässlichen Köpfe hoben. Sie, die sich bis dahin geradezu stoisch verhalten und kaum ihre Stimme erhoben hatte, schrie nun so laut, dass sie glaubte, ihr Kopf müsste zerspringen. Aber zu ihrem Entsetzen bekam sie nur ihr eigenes Echo als Antwort. „Niemand kann Sie hören“, sagte Kaniũrũ, der ein oder zwei Schritte hinter ihr ging. „Kennen Sie diesen Fluss? Er heißt deshalb Red River, weil die Krokodile das Blut von all denjenigen schätzen gelernt haben, die sich irgendwelche Torheiten gegen den Herrscher erlauben. Ist Ihr Mann dumm genug gewesen, Ihnen zu versprechen, Sie zur Mama Aburĩria zu machen? Will Tajirika die Regierung stürzen? Er täuscht Sie. Er ist nicht einmal fähig, einen Stein über einen Fluss zu werfen, wenn er weiß, dass sich Krokodile darin befinden. Solche wie diese hier. Sie sind sehr hungrig, weil sie, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, nicht mehr ihre gewohnte Ration Menschenfleisch bekommen haben, seit der Herrscher nach Amerika abgereist ist.“
Sie konnte nicht sagen, ob es an den Worten lag oder an der Art, wie er sie sprach, oder einer Mischung aus beidem, aber Vinjinia war sich sicher wie noch nie: Kaniũrũ versuchte nicht nur, ihr Angst zu machen; er meinte, was er sagte. Und möglicherweise freute er sich sogar darauf, sie den Krokodilen zum Fraß vorzuwerfen. Wie sollte sie sich aus diesem Wahnsinn befreien? Die Furcht, die sie mit der Todesgewissheit vollständig erfasste, verdeutlichte ihr die Notlage. Wenn sie sich vor diesen Halsabschneidern retten wollte, musste sie sich schnell etwas einfallen lassen, irgendetwas, das ihr Zeit verschaffte. Sie hörte auf zu schreien. Sie sprach ein schnelles Gebet, bat Gott um Hilfe, ihre Nerven zu beruhigen. Und sie entschied für sich: Der Herr der Krähen würde sie retten.
„Ich bin ein bisschen durcheinander. Sie haben mich nach zwei Gruppen von Frauen gefragt: Tänzerinnen und Richterinnen.“
„Ja, das stimmt.“
„Die Wahrheit ist, dass ich keine Ahnung habe, wer die Tänzerinnen waren. Ich bin zu der Eröffnungsfeier gekommen, um Minister Sikiokuu zu sprechen. Ich entdeckte sie im Hof vor den Büros. Ich nahm an, sie waren wegen der Feier da.“
„Stimmt, ich habe sie eingeladen“, sagte Kaniũrũ knapp, der nicht näher darauf eingehen wollte, wie sie ihn betrogen hatten. „Und was ist mit den Frauen, die ihren Mann verprügelt haben?“
„Was wollen Sie über die wissen?“, fragte Vinjinia ruhig, als wäre sie zur Zusammenarbeit bereit.
„Wer sind sie? Wo wohnen sie? Und welche Verbindung haben Sie zu ihnen?“
„Ich kenne sie nicht.“
„Sie machen Witze?“
„Die gibt es in Wirklichkeit nicht“, sagte sie schroff.
„Was meinen Sie damit, die gibt es in Wirklichkeit nicht?“
„Sie sind einfach Schatten. Virtuelle Wesen. Sie existieren nur im Spiegel des Herrn der Krähen.“
13
Tajirika konnte nicht begreifen, warum seine Frau so lange wegblieb, schon gar nicht jetzt, da sie versuchten, ihr Leben wieder zusammenzuführen. Die Hausangestellten berichteten, sie hätten sie in die Maisfelder hinausgehen sehen, aber nicht, dass sie zurückkam. Da ihr Auto noch in der Garage stand, sprach vieles dafür, dass sie nicht weit sein konnte. Als es aber Mitternacht wurde und sie immer noch nicht zurück war, begann Tajirika sich Gedanken zu machen. War sie möglicherweise im See der Tränen gefangen und Teil des Museums der gefangenen Bewegung geworden? Er sprang aus dem Bett und machte sich auf die Suche.
Einige Schritte vom See entfernt blieb er stehen. Der Mondschein fiel auf die Wasseroberfläche und ließ sie silbern glitzern. Er sah auf die Vögel, die Katze, den Hund, die Antilopen, die Schmetterlinge, die alle mitten in der Bewegung ruhten, und er war glücklich, keine menschliche Gestalt ausmachen zu können. Er beschloss, zum Haus zurückzukehren. Vor dem Hoftor blieb er plötzlich stehen. Sein Herz hämmerte. Auf dem Boden lag eine Sisaltasche mit grünem Mais, ein paar Maikolben daneben im Gras verstreut.
Warum sollte sie Mais pflücken, um ihn dann hier hinzuwerfen? War sie von einem Tier
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