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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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um sich. Doch zu Kaniũrũs Enttäuschung spielte Tajirikas Name kaum eine Rolle in den zahlreichen Schauergeschichten, die man nun darüber erzählte, dass das Frauenverprügeln durch Männerversohlen ersetzt worden sei.
    Fast wäre Kaniũrũ selbst seiner heimtückischen Initiative zum Opfer gefallen, weil er später die dringliche Anweisung erhielt, seine Ermittlungen voranzutreiben, um diesen Gerüchten Einhalt zu gebieten. Ein nationaler Geschlechterkrieg stellte eine ernste Bedrohung für die alteingeführten Familienwerte dar.
    Wer sind diese Frauen? Worin bestand die Verbindung zwischen den Frauen des sogenannten Volksgerichts, den Tänzerinnen und der Bewegung für die Stimme des Volkes? Einen Moment dachte er an die Tänzerinnen, die die Einweihung seines Büros begleitet hatten.
    Er hatte erwartet, sie würden nach der Feierlichkeit auf ihn zukommen, damit er sein Versprechen einlöste, ihnen eine Busflotte zu kaufen, aber sie waren nicht aufgetaucht. Das enttäuschte ihn etwas, denn er hätte ihnen gern ein paar Dinge gesagt. Er erinnerte sich, wie sich die Tänzerinnen zu Gunsten Vinjinias eingemischt hatten. Was hatten sie vorgehabt? Inwieweit war Vinjinia darin verwickelt?
    Sollte er sie in sein Büro bestellen oder nicht? Doch ob er sie nun ins Büro beorderte oder zu ihr ging, Vinjinia würde ihm sicher die gleiche Geschichte erzählen wie ihrem Mann. Oder sollte er besser Tajirika noch einmal vorladen? Der würde zweifellos wiederholen, was Vinjinia berichtet hatte. Aber warum sollten sie überhaupt mit ihm kooperieren? Außerdem hatte Sikiokuu ihm deutlich gesagt, er solle die Tajirikas auf keinen Fall mehr als nötig stören. Schließlich hatte Sikiokuu ihn, Kaniũrũ, beauftragt und nicht die Polizei, damit die Ermittlungen in aller Stille vor sich gingen und der Bericht zuerst ihm vorgelegt wurde, bevor man ihn zum offiziellen Dokument erklärte. Nicht, dass das etwas Neues war, Sikiokuu war immer auf Eigennutz bedacht. Dennoch war er überzeugt, dass Vinjinia eine wesentliche Rolle in seinen Ermittlungen spielte. Er musste an sie herankommen.
    Er konzentrierte sich auf die Einzelheiten über die Frauenbande, die Tajirika misshandelt hatte. Sie hatten ihm aufgelauert, als er auf dem Weg zum Mars Café war. Sie hatten ihn in einen wartenden Kleinbus gezerrt, ihm die Augen verbunden und an einen unbekannten Ort gebracht. Alles am helllichten Tag. Und sogleich fiel Kaniũrũ etwas ein. Er pfiff zufrieden eine Melodie vor sich hin. Er würde der Spur der Frauen folgen, selbst wenn das bedeutete, Sikiokuus Befehl zu missachten, die Tajirikas nicht zu behelligen.

11
    Seit dem Tag, an dem es zur Wiederannäherung zwischen Ehemann und Ehefrau gekommen war, hatte Vinjinia auf einen Neuanfang in ihrem Leben gehofft und dafür gebetet. Sie glaubte zwar nicht, dass ihre Beziehung wieder so werden würde, wie sie sein sollte, aber miteinander zu reden, war der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung.
    Sie verlangte nicht viel vom Leben. Eine gottesfürchtige Familie, die regelmäßig in die Kirche ging; einen Mann, der sich nicht in Politik und öffentliche Angelegenheiten einmischte; Kinder mit Hochschulbildung und einem sicheren Job; ein Haus, eine Farm und zwei Autos. Davon hatten sie schon geträumt, als sie beide noch Lehrer in der Grundschule waren.
    Mit ihrem Diplomabschluss hatte Vinjinia eher eine gesicherte Anstellung, während Tajirikas Beschäftigung als Aushilfslehrer vorwiegend davon abhing, ob Frauen in den Mutterschaftsurlaub gingen. Sie hatten geheiratet und daran gedacht, ihr erstes Kind, ein Mädchen, Nyawĩra zu nennen, sich aber dagegen entschieden, weil Nyawĩra „Arbeit“ bedeutete und sie ihr Kind nicht einmal symbolisch zu einem arbeitsamen Leben verdammen wollten. Also hatten sie sie Ng’endo genannt, und das sollte ihrer beider Hoffnung zum Ausdruck bringen, ihr einen besseren Lebensweg als den eines Lehrers mit miserablem Einkommen zu ermöglichen.
    Das war noch in der Kolonialzeit, und ihr Leben änderte sich erst mit der Unabhängigkeit, als die rassischen Hindernisse bei Bankkrediten teilweise beseitigt und aburĩrischen Schwarzen bessere Geschäftsmöglichkeiten eingeräumt wurden. Tajirika begann eine neue Karriere. Er verkaufte Möbel und Haushaltswaren. Er war zwar kein Tischler, besaß jedoch die Gabe einer gewandten Zunge. Zunächst bekam er Bestellungen für verschiedene Einzelposten, dann stellte er Leute an und war bald stolzer Besitzer eines großen Ladens mit

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